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05 Leben Ruth E. Karnatz

Genealogische Texte etc

Leben meiner Mutter,"Mutti" or "Omi", Ruth Esther Schönknecht, 1909 - 1978




Viele Gedanken an diese grossartige aber immer bescheidene Frau, meine Gedanken und die anderer, bleiben uns, jedoch sind mir nur wenige Dokumente ihres Lebens erhalten. Es gibt allerdings Photos, von denen ich einige hier vorstellen werde. So kann dies nur eine vorläufige Fassung sein, der weitere folgen, auch mit mehr Bildern und Dokumenten. Weiter muss zur gegenwärtigen Fassung (Okt. 2018) gesagt werden, dass sie noch sehr fehlerhaft und unvollständig ist.

Ihr Vater war Franz Wilhelm Karnatz (1881 - 1919), die Mutter Minna Franziska Schleusener (1867 - 1919).




Franz Wilhelm Christoph Karnatz (leider das einzige Foto) Minna Franziska Helene Schleusener (von ihrem Mann gemalt!)

Ihr frühester von mir erfasster Vorfahre war ein (um 1585 in der Gegend Parchim, früher Grossherzogtum Mecklenburg-Schwerin jetzt Mecklenburg Vorpommern), geborener Karnatz, mein 8 facher Grossvater. Die Karnatz (auch Carnatz) hatten seitdem in der Stadt Parchim einen guten Klang und ihr Name wird in der Gegend später recht oft genannt, sie gehörten zu den Patriziern und waren meist Tuchhändler und Kaufleute.. Eine Urenkelin dieses Karnatz, Anna Christine Karnatz, meine 6 fache Grosstante, heiratete z.B. einen Gustav von Storch, dessen schwedische Vorfahren sich bis zu Königen von Ungarn im 10. Jahrhundert, zu den schottischen Clan der Drummonds (genannt "Thanes" oder auch "Senechals") und der Kinnairds im 10. bis 13. Jahrhundert verfolgen läßt. Mein genealogischer Geist läßt sich nicht zurückhalten und zählt weitere Adelsfamilien dieser Linie auf (sorry!): Von Aken, von Broberger, von Cotta-Cottendorf, von Forstner, von Hammerstein, von Kossel und von Pritzbuer.

Erwähnenswert aber nicht unbedingt glaubwürdig ist die Erklärung der Namensforscher: Karnatz: (Kårnac Mann mit gestutzten, beschnittenen Ohren von asl. (altslawisch) kr?n? = auribus mutilatus]. Die ersten Leute mit beschnittenen Ohren, nach denselben Forschern, sind in Pölitz (Landbede Güstrow R.) 1567 Karnne. 2 x 1568 Karnatze. 2 x 1570 Karnne; Zarchlin b. Plau (Amtsbuch Doberan) 1552; Gr.=Sprenz (Landbede Güstrow) 155?. (R.) 1568; Dobbertin 2 x (Landbede Dobbertin) 1554!. (R.) 1567.
Hagen (Schloßreg. Goldberg) 1483.

Genug der vielleicht etwas langweiligen Genealogie. Die Vorfahren meines Grossvaters sind also alle aus der Gegend Güstrow, Gültz und Demmin - alles im heuigen Mecklenburg-Vorpommern. Ein Christian Karnatz unser Ur-, Ur-,Urgroßvater (1760 - 1820) wurde von meinem Vater in einem Stammbuch erfasst und dessen Beruf als Kuhhirte angegeben. Das ist sehr untertrieben, denn der Mann nannte sich "Statthalter" und war eine Art Oberaufseher der Kuhställe auf dem Gut Gültz, das seit dem 15. Jahrhundert im Besitz der uralten adeligen Familie von Maltzahn war. Diese Leute liessen dann anstelle des Gutshofes ca 1860 ein Schloss mit einem Landschaftspark (Planung durch P.Lenné) aufbauen das auch heute noch zu besichtigen ist. Hier in Gültz gebar Christians Frau Maria (geb. Lange) mindestens 3 Kinder, Maria ( * 1799), Sophie (*1801) und Friedrich ("Fritz") Joachim Karnatz(1807 - 1869). Letzterer heiratete eine Dorothea Friedericia Daemler (1827 - 1896) , die aus Sachsen-Anhalt, Mehringen bei Aschersleben, stammte. Im nahe gelegenen Zarnikow war er Schneider. Keine Ahnung, wie die beiden zusammengefunden haben, jedenfalls hatten sie 3 Kinder, Johann August Theodor Karnatz (1847 - 1903) unseren Urgroßvater, Karl (1854 - ?) und Marie Friederike Sophie (1864 - 1909). Diese letzterwähnte Dame, also unsere Urgroßtante wanderte 1884 nach den USA aus und heirete in Onakama, Michigan einen Heinrich Karl Christian Müller (auch aus Deutschland) mit dem sie 13 (!) Kinder hatte, ich erspare mir und dem Leser die Aufzählung dieser Sippe, ich habe aber Email-Kontakt mit den Nachfahren.

Johann August Theodor wurde in Glewitz, Nordvorpommern, geboren. Dieser Ort hat mehrfach die Landeszugehörigkeit gewechselt, es gehörte im Mittelalter zum Fürstentum Rügen, danach zum Herzogtum Pommern. Nach dem Dreißigjährigen Krieg bis zum Jahr 1815 gehörte die Gegend zu Schwedisch-Pommern und wurde danach zur preußischen Provinz Pommern. Er heiratete 1872 in Stralsund die Johanna Marie Christiane Oemke aus Tribsees und hat sich dort, in Stralsund, dann auch niedergelassen. Bis heute sind in Stralsund noch viele Karnatz zu Hause, deren Verwandschaft zu uns ich aber noch nicht prüfen konnte. Im Adressbuch von Schwerin 1875 ist er verzeichnet und sein Beruf wird als "Arbeiter" genannt. Sicher ein fleißiger, denn er war auch als Vater emsig. Die (von mir erfassten) Kinder, alle in Stralsung geboren) waren:

Elfriede Auguste Karnatz (1873 - ?);
Anna Wilhelmine Johanna Karoline Karnatz (1874 - 1966) (Tante Anna) Mutti hat sie in Stuttgart besucht); sie heiratete einen August Wilhelm Schäfer, der aus Wiesbaden stammte und Prediger und Offizier der Heilsarmee war, die Ehe blieb kinderlos.
Alwine Martha Albertine Luise Karnatz (1878 - 1950) Ich erinnere mich gut an Tante Martha in Berlin-Pankow. Sie heiratete einen Richard Hermann Jannusch sie hatten 3 Kinder, Paula, Charlotte (Tante Lotti)und Ursel
Eleonore Karnatz (1879 - 1950); sie war wie berichtet wird "in Diensten" in Berlin, heiratete einen Emil Haßlinger und bekam 3 Kinder
Franz Wilhelm Christoph Karnatz (1881 - 1919); mein Grossvater, Muttis geliebter "Papa"
Hermann Karnatz (1887 - ~1962), er heiratete eine Irene Gottgertreu Ruprecht, die trotz ihres frommen Namens recht eklig zu unserer Mutter war ich berichte darüber später. Aus ihrer Ehe stammen zwei Kinder.

Alle diese Geschwister spielten später im Leben meiner Mutter eine Rolle. Franz Wilhelm Christoph Karnatz, unser Grossvater. lernte wohl in Stralsund noch das Malerhandwerk, er war also "Stubenmaler" wie man damals sagte, aber auch ein äußerst begabter Landschafts- und Porträtmaler. Geboren wurde er Weihnachten 1881 in Stralsund, lernte dort das Malerhandwerk und ging dann auf
"Walz" d.h. er wanderte durchs Land und arbeitete bei verschiedenen Meistern um seine Kenntnisse zu erweitern.



Mein Grossvater verbringt einige Monate bei Malermeister Meyer in Delmenhorst

Irgendwie ist er dann in Berlin gelandet und traf dort sein spätere Frau, wahrscheinlich beim Treffen einer christlichen "Gemeinschaft" (unter diesem Namen gab es damals viele verschiedene evangelische Gruppen in Deutschland) vielleicht auch bei der Heilsarmee. Unsere Großmutter war Minna Franziska Helene Schleusener, siehe oben, verwitwete Tietz. Von ihrem ersten Ehemann,
Friedrich Paul Franz Tietz, (1853-1907) den sie 1894 in Berlin geheiratet hatte sie, meines Wissen, 3 Kinder, eins war Elise Tietz, geboren 1905 in Berlin, später verheiatet mit Richard Schwalowsky mit dem sie sehr erfolgreich einen Getränkehersteller ("Schwalo Getränke") in Berlin-Charlottenburg aufbaute. Wir haben sie oft besucht und hatten immer eine tolle Zeit bei Ihnen. Dieser Tietz, er starb ungefähr 1906 in Nowawes (bei Berlin), besaß ein Malergeschäft in Berlin-Kreuzberg, Teltower Str 7 , das seine Frau dann erbte. Dass Franz Karnatz dort anfangs gearbeitet hat und seine Frau als Chrfin kennenlernte halte ich für möglich. Sie war eine bildhübsche Frau und clevere Geschäftsfrau, wenn auch 13 Jahre älter als er. Ihre Vorfahren lebten in der Neumark schon eine Weile, der Familie gehörte auch ein Tischlergeschäft in Guschterholländer/Neumark, Kr. Friedeberg. Die beiden heirateten dann am 5.1.1907 in Berlin-Kreuzberg, wohnten auch dort schon gemeinsam in der Arndtstr. 20.

Es ist heute schwer, nachzuvollziehen, wie ihr Leben in dieser Zeit aussah. Minnas beide Eltern kamen verschiedenen Orten im Kreis Friedeberg/Neumark, ihre Kinder wurden ebenfalls in verschiedenen Ort im selben Kreis geboren, Minna in Gottschimm, Kreis Friedeberg. Ein Photo zeigt sie mit Bruder Richard ca. 1900. Nach diesem Photo malte ihr 2. Mann, unser Grossvater, sein Bild von ihr, siehe oben.


Minna und ihr jüngerer Bruder Richard Hermann Reinhold Schleusener (1869 - 1932), ca 1895

Ihr erstes gemeinsames Kind, also vom ersten Mann, Cornelia Tietz, wurde 1894 in Berlin, Teltower Str. 7, geboren lebte aber nur einige Tage und starb dort, ungetauft. Später, erst 1905, kam das zweite Kind zu Welt, Elise "Lieschen" Tietz. Leider konnte ich noch nicht feststellen, wo sie geboren ist, höchstwahrscheinlich aber nicht in Berlin, weil die Kirchenbücher aus dieser Zeit bekannt sind. Uns allen war noch ein Bernhard Tietz, Onkel Bernd, bekannt der später in Berlin Studienrat wurde. Paul Franz Tietz starb, wie erwähnt schon früh etwa 1906 der Überlieferung nach in Nowawes (das spätere Babelsberg). Dort befand sich ein großes Krankenhaus der Diakonissen in dem später auch meine Tante Hanna als Krankenschwester lernt und arbeitete. Alle Tietz' waren sehr geschäftstüchtige Menschen.


Standesmtl. Ehe 1907


Anfang 1907, siehe oben, heiratete meine Großmutter erneut, wieder, in Berlin. 6 Monate später kam schon das erste gemeiname Kind, auch in Berlin, zur Welt, meine Tante Hanna Emma Katharina Karnatz (später verh. Knüppel). Dann muß sich die Familie aber mehr nach der Neumark orientiert haben, denn meine Mutter wurde in Guschterholländer, Kr. Friedeber/Neumark, am 18.9.1909 geboren. Guschterholländer scheint Anfang des 20.Jahrhundert so eine Art Familienzentrum zumindest der Schleuseners, gewesen zu sein. Unser Onkel Paul Gottwald hat dort 1903 eine Tante meiner Mutter, Martha Helene Schleusener, geheiratet, Ein Bruder unserer Großmutter, Emil Schleusener ( 1862 - ca 1910) starb dort (er soll lt. Tanta Hanna stark getrunken haben).

Ein kurzer Einblick, was hatte es denn mit diesem Guschterholländer auf sich? Die Frage habe ich mir schon als kleiner Junge gestellt, wie konnte jemand in einem Ort mit so langem Namen geboren sein? Guscht, alter poln. Name Goszcza,der Nachbarort, mit einem Gut wurde schon wurde erstmals 1338 erwähnt, Siedlungspuren stammen aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. Die Besiedelung des Netzebruches, dem Gebiet am Fluss Netze, erfolgte zögerlich, Anfang des 19. Jahrhunderts gab es nur 10 Bauern. Ein "Herrenhaus" man kann es - das heutige Wohnhaus Nr. 4 in Guscht )poln. Goszczanów) - das über 210 Jahre alt ist und für die reiche Gänsezucht bekannt ist, kann man besuchen. Guschterholländer, heute Goszczanowiec, liegt etwa 4 km entfernt. "Holländer" war die Bezeichung für eine ursprüngl. von Niederländern "erfundene" Landwirtschaftsform. Die Kolonie wurde um 1667 vom großen Kurfürsten gegründet, jeder Siedler mußte 20 Silbermünzen für sein neues Land bezahlen und wurde, sehr wichtig, von der Leibeigenschaft befreit.

Anfang des 20.Jahrhunderts, zur Zeit meiner Grosseltern also, gab es hier knapp 700 Einwohner in 135 Wohnhäusern.
Friedrich Adolf Schleusener, mein Urgrossvater: ein Tischlermeister, ist 1839 im unweit entfernten Lipkeschbruch geboren, muß also um 1870 nach Guschterholländer gezogen sein, und hat dort eine Tischlerei gegründet oder übernommen. Minna Franziska Schleusener, unsere Grossmutter, hat diesen Betrieb wohl auch geführt, sie wurde 1867 zwar in Gottschimm, auch Kreis Friedeberg, geboren, lebte dann aber in Guschterholländer. Eine ihrer Schwestern, Martha Helene Schleusener (1879 - 1943) heiratete 1903 in Guschterholländer den (Onkel) Paul Gottwald (1878-1965), den ich noch kannte und von dem viel Familiengeschichte überliefert ist, schriftlich und auch auf 2 Tonbändern.

Guschterholländer, alte Ansichtskarte ca 1915 Paul Julius Gottwald, 1878 - 1965


Minna wird es aber auch schon früh nach Berlin gezogen haben, dort heiratete sie 1894 den Malergeschäft-Inhaber
Paul Franz Tietz. nach dessen Tod übernahm sie, siehe oben, das Geschäft war aber auch im väterlichen Geschäft in Guschterholländer beschäftigt. Nach ihrer zweiten Heirat 1907, auch in Berlin, bekam sie dort im selben Jahr (!) ein erstes gemeinsames Kind, meine Tante Hanna Karnatz, später verh. Knüppel. Meine Mutter, Ruth Esther Karnatz, später Schönknecht, wurde aber wiederum in Guschterholländer am 18.9.1909 geboren. In der Zwischenzeit haben sich wohl die Groeltern für ein weiteres Leben in der alten Heimat, der Neumark, entschieden. Minna war eine starke Geschäftsfrau (ihre Gene haben sich wohl auf ihre erste Tochter Elise Tietz (später Schwalowsky) und auf unsere Tante Hanna vererbt. Franz Karnatz war mehr ein Künstler (seine Gene sehe ich eher in meiner Mutter) beide waren weiche, liebenswerte Menschen. Es scheint, dass das Geschäft in Berlin mit dem neuen Chef nicht so gut lief wie zuvor, vielleicht hatte Minna auch Heimweh. Franz wollte ursprünglich nicht gern in das sehr kleine und ländliche Guschterholländer, wo es auch schon 5 andere Maler gab, so ist Minna allein 1909 aufgebrochen um dort meine Mutter zur Welt zu bringen. Franz folgte ihr aber bekam als Maler nicht schnell Aufträge, die Schwiegereltern und andere Verwandte mussten finanziell oft aushelfen. Franz "machte" oft nach Berlin und hat dort z.B. im späteren Haus Vaterland, damals noch Haus Potsdam; 1912 als Gastronomiebetrieb erbaut, viel gemalt. Eine Sensation dort war das prächtige Café Piccadilly, mit 2500 Plätzen. Wo und was genau mein Grossvater gemalt hat ist nicht überliefert. Er war aber ein überaus beliebter Mann und Vater, selbst seine Halbtochter und natürlich meine Mutter und meine Tante nannt ihn liebevoll "Papa". Muttis Lieblingslied war "Oh mein Papa" von Lilli Palmer und auch von Lys Assia gesungen.

Ich kann nicht sagen ob er, Franz Karnatz, zum Militär WK 1 eingezogen war. Gegen Ende des Krieges herrschte in Deutschland eine große Hungersnot, der Winter 1916/17 wurde auch als "Steckrübenwinter" (Kohlrübe, sonst nur für die Schweinemast genutzt) bezeichnet. Vielleicht waren deshalb auch weitere Familienmitglieder in Guschterholländer, weil es auf dem Lande noch eher etwas zu essen gab. Franz Karnatz (Papa) war schon eine Weile krank, welche Krankheit (später hiess es "Wassersuchet) muss ich noch erforschen, hat aber noch eine Weile weiter gemalt, er hatte wohl in Alt-Lipke noch eine Art Atelier in dem seine Kinder ihm oft bei der Arbeit zusahen. In dieser Zeit fuhr seine Frau auch wieder nach Berlin, vielleicht um Medizin zu besorgen. Dann herbe Schicksalsschläge, im Februar 1919 starb die Mutter, einige Monate später, am 15.April, der Vater!


Das bedeutete für die Waisen riesengroße, schlimme Umstellungen, Hanna war 11, meine Mutter 9 Jahre alt. Sie hat, zumindest zu mir, nicht viel über dies große Unglück erzählt, heute würde man Trauma dazu sagen, Die beiden Mädels, (Elise Tietz war wohl schon in Berlin oder in Guscht mit ihrem Verlobten, Richard Schwalowsky), wurden nun auf die Verwandten verteilt. Meine Mutter landete beim Onkel Hermann (Karnatz) und dessen Frau, mit dem schönen Namen Irene Gottgetreu, diese führten im Ostseebad Ahlbeck eine Pension, später hatten sie eine Arte Mädchenpensionat in Dresden. Es ist unklar, warum sie relativ plötzlich wegzogen und es gibt Vermutungen, die mit dem Verhalten des Onkels Herrmann zu tun haben. Meine Mutter hatte es dort schlecht. Nicht allein die sehr autoritäre Tante Irene sondern auch die "Belästigungen" des Onkels haben sie gedemütigt. Sie wurde in Ahlbeck eingeschult, allerdings in eine viel höhere Klasse gesteckt und blieb dort natürlich sitzen.



Mutti (links), Halbschwester Elise Tietz & Schwester Hanna, ca 1922 Mutti mit Kusinen Paula (rechts) & Lotti Jannusch

Ihr Leben änderte sich erst als sie von ihren Schwestern besucht wurde, denen sie ihr Leid klagte und die sich dann den Onkel vorknöpften. Besonders ihre Halbschwester Elise wurde sehr energisch und drohte, ihr Verlobter oder schon Ehemann Richard Schwalowsky würde kommen und sich durchsetzen. Kurz darauf kam die etwa 14 jährige Esther zu anderen Verwandten, den Jannuschs in Berlin-Pankow, Pestalozzistr. Alwine Martha Albertine Luise, geb. Karnatz, wie ihr Bruder in Stralsund geboren, war ihre Tante und hatte 3 Kinder, Paula, Charlotte (Lotti) und Ursel, die ich alle noch kennengelernt habe. Wir waren später öfters in Pankow und Peter Knüppel und ich konnten mit den Kindern der Tante Lotti, Jutta und Roswitha, spielen.


Ich weiß noch nicht, wie dann das kinderlose Ehepaar Richard Ernst Fürchtegott Reinhardt (1871-1957) und Marie Reinhardt geb Kelas (1872 - 1950) in Charlottenburg, zu meiner Mutter und zurPflegeelternschaft kamen. Ich hoffe, Informationen darüber noch nachtragen zu können. Wir Kinder nannten sie Omi und Opa, sie waren wie echte Grosseltern, Opa Reinhardt betrieb seit 1910 ein Goldschmiedegeschäft in Charlottenburg, Stuttgarter Platz 21 (das Haus, das sie alle 3 bewohnten ist wunderschön restauriert worden) in dem er bis kurz vor seinem Tod noch gearbeitet hat, einer der ganz wenigen Menschen, vor denen ich Respekt empfand und noch empfinde. Aus seinemLadengeschäft führte eine Extratreppe in die Wohnung im 1.Stock, man mußte also nicht über das allgemeine Treppenhau.s. Oft habe ich ihn als kleiner Junge besucht und bei der Arbeit zugeschaut. Er vermachte meiner Mutter später auch ein kleines Erbe. Omi Reinhardt stammte aus Danzig, von ihr hat meine Mutter Kochrezepte und auch einige ostpreussische Dialektworte (z.B. "Lorbas") übernommen.



Omi und Opa ca 1950 und 1938

Sie gehörten ebenfalls zu einer christlichen Gemeinschaft in Berlin über die dann auch meine Mutter ihren Mann, Kurt Bruno Walter Schönknecht (1900 - 1981) kennenlernte, und sich am 18.9.1929 (also ihrem 20.Geburtstag) mit ihm verlobte. Die Heirat erfolgte am 17.5.1930, das Paar wohnte noch mit Kurts Eltern und jüngerer Schwester in der Eosanderstr. 4, 1.Stock.



Vor dem Standesamt. Hochzeitsfeier, wohl in den CVJM Räumen



Kurz vor oder nach der Hochzeit 1930; Hochzeitsanzeige


Der erste Sohn, Fritz Daniel, kam pünktlich etwa 9 Monate später, am 16.2.1931, die Familie wohnte in Berlin-Charlottenburg, Klaustaler.Str 35 - wohl auch noch als mein Bruder Gottfried Wolfgang am 22.3.1932 zur Welt kam. Die beiden Ältesten waren immer ein Herz und eine Seele, auch noch viel später, als ihre berufliche Laufbahn sehr unterschiedlich waren. 1934 zog die Familie in die Fredericiastr. 10b.



Die noch kleine Familie ca 1934


Das Ehepaar war wohl nach der Hochzeit noch einigemale in Guschterholländer, wohl auch in Begleitung der beiden Ältesten.



Beide Aufnahmen um 1930/31, wer die anderen Damen auf dem linken Foto sind kann ich nicht sagen.


Dort blieb man bis 1935 mein Bruder Heiner ist dort geboren.



Fritz & Gottfried, ca 1935, die 3 Erstgeborenen ebenfalls ca 1935


1936 bekam mein Vater, ich nehme an durch gute Beziehungen als Beamter, eine Wohnung im "Kavaliershaus" des Schlosses Ruhwald, Spandauer Chaussee (später in Spandauer Damm umbenannt) 33-34. Es wohnten dort 10 Parteien, die Toiletten waren einen Stock tiefer, trotzdem muß es eine ideale Wohnung gewesen sein denn es haben dort 7 Personen gewohnt. Meine Schwester Hanna Lore kam dort am 30.7.1937 zur Welt, ich selbst am 6.6.1943 die eigentlichen Geburten fanden wohl in einer Klinik in der Pulsstr. statt.



Zu siebt ca 1938, Geburtsanzeige Uli Schoenknecht 1943


1935 wurde ihr Mann, Kurt Sch., als Gefreiter der Reserve der Wehrmacht, registriert und legte den Fahneneid auf Adolf Hitler ab, am 19.10.1935 wurde er zum Unteroffiziersanwärter ernannt. Er arbeitete weiter für das Gesundheitswesen des Bezirks Charlottenburg, wurde 1938 zum Leitenden Fürsorger befördert, aber kurz darauf, am 6.11.39 zur Wehrmacht eingezogen, nach dem Überfall auf Polen am 1.9.39 befand sich Deutschland im 2. Weltkrieg.



Vati als Soldat

Im Juni 1939 schreibt sie eine Ansichtskarte aus Zingst/Ostsee an Ihre Schwiegermutter ("Mein liebes Muttchen...."). Wer von der 4 Kindern dabei weiß ich nicht, wohl aber dass ihre Pflegemutter "Omi" Reinhardt mit ihnen dort war. Sie wohnten im "Zingsthof" (der noch heute existiert) der Stadtmission . Im Zingsthof hatte auch Dietrich Bonhoeffer sein Predigerseminar der Bekennenden Kirche der 1944 auf ausdrücklichen Befehl Adolf Hitlers , hingerichtet wurde.

Einmal im Jahr gab es den großen Dampferausflug des CVJM Charlottenburg. Ich habe dann später auch einigemale teilgenommen. Auf diesen Fotos sieht man Familie Schönknecht und Dorn und auch einige andere bekannte Ehepaare.



Dampferausflug ca 1929/1930


Nun mußte meine Mutter allein für sich und die Kinder sorgen. Mein Vater war als Sanitätsunteroffzier an der französischen Front und schrieb von dort nach Hause. Später war er wieder in Heimat, ganz sicher zum 33.Geburtstag meiner Mutter, denn 9 Monate darauf wurde ich am 6.6.1943 geboren.

In diesem Jahr, 1943, wurde angesichts des zunehmenden Bombenkrieges über Berlin, eine Evakuierung aller kinderreichen Familien durchgeführt, auch meine Familie war betroffen, die nach Tremmen/Havelland ausquartiert wurde und bei einem sehr großzügigen Bauern dort, Hermann Sumpf, unterkam. Dort wurde ich auch getauft und wir wohnten dann in zwei Zimmern in einem große Bauernhaus. Mein Onkel Hans Dorn, Schwager meines Vaters war als ltd. Ingenieur zuständig für die gesamte Wasserversorgung im Havelland, deshalb vom Wehrdienst freigestellt und durfte einen Dienstwagen fahren. Er half sehr viel beim Einrichten unserer Familie auf dem Bauernhof, baute u.a. dort eine Toilette und/oder Baderaum ein. Meine Geschwister gingen zur Schule, in Tremmen (Volksschule) oder Nauen (Oberschule). Meine Schwester erinnert sich noch daran, dass sie mir die Windeln reinigen und auswechseln durfte/musste. Ab Juli 1944 war mein Vater an der Ostfront eingesetzt und konnte uns also nicht mehr besuchen. (Näheres in seiner Lebensgeschichte hier auf meiner Webseite).

Ca 1944 erhielt meine Mutter ihr "Mutterkreuz" eine Auszeichnung die vom "Gröfaz" (größten Führer aller Zeiten, wie er damals heimlich genannt wurde) gerade erst für Mütter mit 5 oder mehr Kindern geschaffen wurde.



Kopie einer Auszeichnung für eine andere Mutter, die Urkunde für Mutti und ihr Kreuz sind nicht erhalten



Meine ältesten Brüder hatten heimlich ein Detektorradio zusammengebastelt, was unter schwerer Strafe verboten war sie hörten damit den "Feindsender" BBC der in deutsch sendete und immer exakt den Frontverlauf meldete. So erfuhren wir 1945 vom Näherrücken der sowjetischen Truppen. Die meisten Bauern in Tremmin setzten sich daraufhin nach Berlin ab, unsere Familie beschloß Anfang 1945 gen Westen zu fliehen, ein waghalsiges und lebensgefährliches Unternehmen, das wir nur noch unter dem Namen "Flucht" kannten.. Sie wurde vom Bauern Sumpf mit einem Fuhrwerk versorgt und sogar mit einem Pferd und dessen kleinem Fohlen das, hinten am Wagen festgebunden, hinterherlief. Die Flucht kannte nur nachts vor sich gehen, wohl wegen der sowjetischen Tiefflieger die die Strasse beschossen, auf der viele Wagen, Einzelpersonen und deutsche Truppen gen Westen unterwegs waren. Meine Geschister erinnern sich, dass auch einige tote Hühner als Verpflegung mitgegeben worden waren, sie wurden unterwegs aber entsorgt, weil sie schon rochen. Später eilte man zurück um sie wieder aufzulesen und zu verwerten. Mein Onkel Ernst Knüppel, der ja mit seiner Frau, unserer Tante Hanna, (schon mit meinem Vetter Peter Knüppel schwanger) zu unserer Gemeinschaft gehörte, erwies sich als hochbegabter Organisator und brachte von den Bauern auf der Strecke Nahrungsmittel zu uns. Meine ältesten Brüder haben das ganze als grosses Abenteuer empfunden und erinnerten sich später an das "Klauen" von Kartoffel u.a. von den Feldern am Wege. Den Stress dieser Flucht kann heute keiner mehr nachempfinden und selbst die dabei gewesenen können kaum darüber rational berichten. Besonders meine Mutter, keine besonders starke Frau, hat Unglaubliches geleistet und gezeigt, welch ungeahnte Kräfte ein Mensch in der Not aktivieren kann. Täglich, ja fast stündlich mit einem Treffer der Tierfflieger zu rechnen, 5 Kinder notdürftig zu ernähren, keine Verbindung mehr zum Familienoberhaupt, eine völlig ungewissen Zukunft...das alles und mehr musste sie ertragen. Für manche Ausgaben, auf der Flucht und danach, hatte sie ein Postsparbuch aber damit war kaum mehr etwas anzufangen.

Fluchtkolonne 1945, nicht unsere Familie

Irgendwann kam dann die lange Kolonne an der Elbe an, diese wurde überquert (beide Seiten waren ja noch deutsches Reich geblieben ob noch eine Brücke bestand oder Boote benutzt wurden weiß ich nicht) und wir kamen nach Bad Segeberg, Schleswig Holstein, wahrscheinlich amtlich nach dort verwiesen. Wir wohnten in der "Grossen Seestr. 3", bei Familie bei einer Familie Dabelstein. Nun ereignete sich etwa Unfassbares, ein kleines Wunder: Unter leichter Bewachung britischer Soldaten marschierte ein langer Zug deutscher Kriegsgefangener durch Bad Segeberg.


Am Rande standen einige Einwohner und hielten Schilder mit gesuchten Männern hoch, so auch meine beiden ältesten Brüder. Mein Vater war in der Kolonne und sah seine Söhne, er lief spontan auf sie zu, ein großzügiger Bewacher genehmigte das Wiedersehen und mein Bruder Fritz schoß los um meine Mutter zu benachrichtigen, er sagte: "Mutti, Mutti da unten ist ein Soldat der Vati kennt" um sie nicht zu sehr zu erchrecken (oder war es schwarzer Humor?). Kurz darauf war die Familie wieder vereint.

Deutsche Kriegsgefangene im langen Zug durch Bad Segeberg 1945


Main Vater kam schon früher nach Berlin, hat uns in Bad Segeberg auch noch einmal besucht, die Familie hatte erst Ende 1945 die Möglichkeit, in Begleitung eines Freundes meines Vater Bodo (?) Goltze mit der Bahn über diverse Umsteigestationen (übernachtet wurde in sogenannte "Nissenhütten, Wellblechbaracken). Angekommen in Berlin konnten wir die von meinem Vater, er war schon wieder beim Senat tätig, organisierte Wohnung, Westendallee 124/Preussenallee 11, unweit vom S-Bahnhof Heerstr., beziehen. Aber wie sah diese Wohnung aus...das Parkett als Brennmaterial herausgerissen, keine Fensterscheiben (sie wurden von uns notdürftig mit alten Röntenbildern aus dem Gesundheitsamt ersetzt), kaum Einkaufsmöglichkeiten. Aber zumindest hatte man wieder Kontakt mit der Familie, Oma und Omit Reinhardt haben viel geholfen und auch die CVJM Freunde. Berlin erholte sich von der Totalzerstörung erstaunlich schnell, S- und Strassenbahnen fuhren bald wieder, ebenso bald funktionierte die Post. Es gab aber noch nicht volle Stromversorgung und das fliessende Wasser nur stundenweise.

Im Herbst 1945, kurz nachdem die Reichsbahn wieder teilweise wieder fuhr, ein grauenhaftes Unglück: Ein Zug furh kurz vor der Endstation Nauen auf einen anderen Zug auf, die ersten Wagen fingen sofort Feuer und drinen sassen mein Onkel und seine Frau, Hans und Lotte Dorn! Sie hinterließen unsere Cousins und Cousine, Hans (13), Eva (12) und Peter (9) als Vollwaisen. Ich habe zum Unglück einen Artikel geschrieben und auch hier veröffentlciht:
http://schoenknecht.de/06-eisenbahnunglueck-1945.html.


Meine Großmutter wohnte damals mit in Nauen in und zug etwas später zu uns nach Berlin. Über dies Unglück wurde in unserer Familie wenig oder gar nicht gesprochen, obwohl ich mich an spätere Bahnfahrten nach Nauen erinnere.




Zurück zur Preussenallee: Ich erinnere mich, dass jemand aus dem Hause durch den Treppenflur schrie "Wasserhähne lüften" worauf man dann die Hähne aufzudrehen hatte. Die älteren Kinder besuchten bald die Waldschule in Berlin-Grunewald, in der im Freien oder in Bracken unterrichtet wurde, es gab eine tägliche Mahlzeit aus grossen Kübeln, verteilt in einem Essenszelt, hierzu musste man eigenes Besteck mitbringen. 1949 durfte ich auch in die Waldgrundschule, neben der Waldoberschule, meine Mutter hatte sogar eine Schultüte organisiert (ich erinnere mich aber schwach dass sie nicht gefüllt war) und ich wurde fotografiert. Kleidung wurde vielfach durch meine Mutter gestrickt, auch Hosen für mich, auch eine Art Badeanzug für meine Schwester (der ihr sehr peinlich war, weil er sich nach Wasserberührung ausdehnte). Zum Haushalt, wir 7 und meine Oma, gehörten auch eine Hamster namens Mecki und zeitweilig ein Meerschweinchen (die beiden vertrugen sich aber überhaupt nicht). Wir lebten uns langsam ein, mein ältester Bruder machte 1949 sein Abitur (ich durfte ihm in seine Prüfungsklasse die von meiner Mutter gefertigten Pausen- oder Schulbrote nachliefern, was mir selbst sehr unheimlich, meinem Bruder Fritz sehr peinlich war). Gegessen haben wir acht an einem Riesentisch, ausziehbar, bis 12 Personen konnten daran sitzen, er steht jetzt bei meiner Nichte Sabine in Dresden. Mehr persönliche Erlebnisse in meiner eigenen "vita" die hier bald folgen wird. Auch in den ersten Nachkriegsjahre leistete meine Mutter Unglaubliches, Waschen und Mangeln, nähen (darin und mit einer alten Nähmaschine war sie äusserst geschickt, stopfen, einkaufen etc. Gekühltes gab es aus dem Eisschrank, Vorläufer eines Kühlschranks. Er wurde mit grossen Eisstücken kühl gehalten, das Eis, in grossen Blöcken, kam von Händlern, die durch die Strassen fuhren und sich laut bemerkbar machten. Laut waren auch die herumziehende Scherenschleifer und Lumpensammler.


Vor der Haustür Preusenallee 11/Westendallee 125, ca 1950


Wann dann in den späten 40er Jahren meine Mutter dann von der ständigen Untreue ihres Herrn Gemahls Kenntnis erhielt weiß ich nicht. Was ich weiß ist, dass sich die beiden Frauen sich irgendwann 1949/1950 trafen, ich kam gerade von einer Schulfeier (Weihnachten?) nach Hause als Frau Schramm, von meiner Mutter mit "Donja" tituliert, gerade unser Haus verliess, sie war mir unheimlich, ohne dass ich im geringsten ahnte, wer sie war.

1949 erhielt meine Mutter eine Kur in Bad Kissingen verschrieben und fuhr mit der Bahn dorthin. Sie war recht zufrieden mit dem Hotel, dem Essen und den anderen Gästen dort. Sie erwähnt, dass man sie zu verschiedenen Gesundheitsproblemen behandelte, unter anderem auch ihren Kopfschwerzen. Ob ein Zusammenhang mit ihrem späteren Tod bestand, kann ich nicht beurteilen, über Kopfschmerzen hat sie während ihres gesamten Lebens geklagt.

Irgendwann sind wir dann umgezogen in die Westendallee 88 1.Etage,, warum weiss ich nicht, vermute Ersparnisgründe. Später ein weiterer Umzug in das Erdgeschoss des Hauses, wo uns auch ein kleiner Garten, an der Fernbahnlinie, zur Verfügung stand. Ziemlich nahe war das große Olympiastadion und wir hörten oft das Zuschauerjubeln bei Fussballspielen. Meine Mutter war unser Lebensmittelpunkt, den Vater sahen wir immer seltener. Beide besuchten aber regelmäßig, auch inder weiteren Zukunft, Donnerstags den "Familienkreis" des CVJM in der Waitzstr., CHarlottenburg. Wir spielten sehr viel, diverse Gesellschaftspiele wie "Poch" "Elfer raus", "Rommé" und ab und zu "Schlesische Lotterie", letzteres gefiel mir besonders, weil es dabei um, sehr geringe, Bargelder ging. Besonders schön für mich war immer, wenn meine Mutter vor, zur Guitarre, etwas vorsang, z.B. "Maikäfer flieg" oder "In Mutterns Stübele" beides etwas traurige Lieder, ich glaube aus einer alten Liedersammlung "Des Knaben Wunderhorn". Welch herrliche Stimme meine Mutter doch hatte, mit Höhen und Tiefen, die einen berührten. Nach dem Tod unserer Mutter hat mein Bruder einmal von einer ganz besonderen Beziehung zwischen Mutti und mir. Damals war mir das überhaupt nicht bewußt und erst später musste ich ihm recht geben. Mutti nannte mich gern "mein süßer Goldener", "mein Pischer", mein "Schieter". Sie war immer für mich da auch wenn ich im Vergleich mit meinen Geschwistern nur schlecht abschnitt. Verbunden hat uns, dass wir beide sehr emotional reagierten, uns gern umarmten und küssten, was dem Rest der Familie, mehr von Vaters Genen beeinflusst, nicht so sehr lag.



5 Kinder und der Kater "Mies" ca 1948


Näheres zur Zeit bis 1955/56 muss ich noch nachliefern. Wir zogen dann wieder um, in ein neu gebautes Bungalow einer Siedlung in Berlin-Mariendorf, wiederum durch meinen Vater mit seinen "Beziehungen" organisiert. Hier war das Haushalten etwas einfacher, es gab ein Waschhaus mit Waschmaschinen, eine kleine aber gut einrichtete Küche , 3 kleine und ein grosses Zimmer, einen Garten und einen geräumigen Keller mit einer eigenen Koksheizung. Der Garten wurde von beiden Ehepartnern geliebt und allerlei seltene Bäumchen und Sträucher gepglanzt. Der Koks für die Heiung wurde zum Haus geliefert und durch ein Fenster im Keller eingeschüttet.
Die Hausfrau war oft die Gastgeberin und konnte mit ihren Kochkünsten punkten. Ihre große Spezialitäten waren "Napoleonsmützen" (Teigfladen mit Hackfleisch gefüllt"), Kohlrouladen, Bouletten; aber auch einfach Gerichte, Pellkartoffeln (sie ließ sich nie nehmen diese heißen Dinger für uns zu pellen!) mit speziell "angemachtem" Quark, Milchreis mit Zucker und Zimt, gefüllte Hefeklöße und andere Hausmannskost. Immer war es ein Ereignis wenn sie buk, bald bekam jeder von uns "seinen" Geburtstagskuchen, für mich war es gedeckter Apfelkuchen, für meinen Bruder Fritz "Frankfurter Kranz", sehr kompliziert und arbeitsaufwenig, er hat ihn wohl später in den USA nachgebacken. Aber auch ihre Nußtorte und verschiedene Weihnachtskekse werde ich nie vergessen.Zu jedem Mittag gab es etwas Warmes, jedesmal wenn ich von der Schule kam hieß es "Kartoffeln sind geschält", "Kartoffeln sind aufgesetzt" oder final "Kartoffeln kochen"! Sie genoß es sehr, wenn ihre Familie mittags aber meist abends i um den großen Tisch versammelt war, in der heimeligen Essecke, für Mahlzeiten aber auch gemeinsame Spiele. Mein Vater kam abends meist später, von politischen Treffen oder von seiner Freundin, dazu und störte die Harmonie empfindlich. Er ließ sich dann, um seine Autorität zu stärken, gern meine Schulsachen ("Uli hol mal Deine Tasche"), kritisierte meine Mutter wenn sie wieder einmal eine schlechte Hausarbeit von mir gegengezeichnet hatte. Erbärmlich war auch seine Kontrolle des Haushaltsbuches, das sie zu führen hatte und in der er akribisch alle Eintragungen aufrechnete und teilweise böse kommentierte. Trotz dieser Schikanen hat sie es aber doch geschafft, kleinere Beträge abzuzweigen und uns zuzuschanzen. Ich habe sie nur sehr selten mit ihm streiten gehört. Allerdings zog sie bald in ein eigenes Schlafzimmer, ich glaube zusammen mit meiner Schwester, während er das viel größere Hinterzimmer beanspruchte. Dort hat er uns dann vielfach nachts durch sein eindringliches Schnarchen erfreut oder auch durch laute Schreie, verursacht durch Albträume !



Bungalow Mariendorf, Heiner auf der Terrasse und Familie, beides etwa 1957/1958

Am 14.6.1957 starb ihr geliebter Pflegevater, unser Opa Reinhardt, seine Frau war schon 1950 gestorben. Er hatte die Kraft auch im hohen Alter noch quer durch Berlin zu fahren um uns in Mariendorf zu besuchen. Einmal, im Winter, wollte ihn meine Mutter etwas aufwärmen und stellte heimlich einen kleinen Heizofen unter den Tisch, als er es bemerkte, mußte der Ofen ausgestellt werden, ein bescheidener Mann, der keinerlei Aufwand für sich duldete.

Jeden Donnerstag gingen sie aber gemeinsam zum "Familienkreis" des CVJM, wo auch er manchmal Bibelstunden hielt, obwohl alle Anwesendenden wußten, daß er seine Frau seit Jahren betrog. Es sollen aber noch andere dieses Kreises dieser Scheinheiligkeit gefolgt sein. Hinterher gingen einige Freundespaar dann zu einem Chinesen essen, für meine Mutter eine große Freude, und wurden hinterher von dem "Onkel" Gerhard Breddin (den meine Mutter besonders verehrte, unter den Argusaugen seiner Frau, unserer "Tante Lydia") heimgefahren in seinem großen Mercedes. Sie hat sich in diesem kleinen Freundeskreis immer sehr wohl gefühlt. Einmal im Jahr verreiste mein Vater mit seiner Freundin, z.B. nach Italien; danach oder davor kam die Familie dran und die beiden Freundespaar Feist und Breddin. mit Busreisen ins Frankenland oder Fichtelgebirge Auch ich durfte ein paarmal mitreisen. Die Älteren marschierten dabei mit strammen Schritten und unter Absingen christl. Lieder oder Wanderlieder voraus, was mir sehr peinlich war aber die örtliche Bevölkerung auf dem Feld amüsierte. Wir hatten alle unser Päckchen zu tragen, denn unterwegs wurde "abgekocht" d.h. in mitgebrachtem Töpfen und Geschirr und auf kleinen Feuern, Mahlzeiten bereitet bereitet. Abends kochten dann die Frauen noch einmal, z.B. die vorher gesammelten Pilze oder Blaubeeren in Milch. Meine Mutter hat sich bei diesen Urlauben immer äußerst wohl gefühlt, sie hatte ihren Mann und die lieben Freunde um sich, quasi für sich allein.



Mutti in Mariendorf ca 1960, beide Fotos sind die ersten die ich selbst geschossen habe

Eine etwas gruselige Erinnerung habe ich aus der Mariendorfer Zeit, ich kam von der Schule, klingelte aber es kam keine Reaktion. Dann lief ich zum Küchenfenser und erblickte meine Mutter, die mich nicht ansah aber mir irgendwie grau und abwesend erschien. Erschreckt rannte ich zu Nachbarin, die mir erzählte, dass meine Mutter ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, ich meine das geschah wegen einer geplatzten Gallenblase mit anschließenden OP. Ich hatte mehrere solcher "übersinnlichen" Erlebnissse. Meine Mutter glaubte an Übersinnliches, sie erzählte, dass in ihrer Heimat, also der Neumark, Warzen mit Erfolg "besprochen", sie hielt "Heilerde" sehr hoch und vor allem das japanische Heilöl "Olbas" Sie gab an, mit derartigen Mitteln auch bei den Kindern schlimme Krankheiten, wie Diphterie o.ä. geheilt zu haben. Olbas benutze ich selbst auch jetzt noch und kann es nur empfehlen.

Die älteren Kinder verließen in den nächsten Jahren das Haus, zuerst mein Bruder Fritz (zunächst für ein Jahr als Assistenzarzt, ein Jahr später für immer) nach USA, ihm folgte später auch meine Schwester Hanna. Bruder Gottfried wurde als Lehrling bei Siemens untergebracht, später zog er nach Hamburg um sich im dortigen "Rauhen Haus" zum Diakon ausbilden zu lassen. Mein Bruder Heiner begann und beendete ein Studium auf der Pädogogischen Hochschule in Berlin, er wohnte auch allein als Untermieter im Hansaviertel in Berlin-Tiergarten. Er brachte dann meine Mutter dazu auzuziehen und mit ihm bei einer älteren Dame in Mariendorf zu wohnen. 1962 war auch ich fort, zu einer Ausbildung als Bundesbahnspektoranwärter in Wuppertal, initiiert durch meinen Vater, leider ohne vorher mein Abitur zu machen. Ein großer Fehler.


Ein letzter gemeinsamer Ausflug, ca 1961


Fritz steuerte den gemieteten Bus, Vater (er hat dies Bild aufgenommen) war sehr besorgt, dass er nicht über 80 km/h fuhr. Sehr viel mehr hätte der Bus wohl auch nicht fertiggebracht.

1963, am 10.6, heiratete mein Bruder Gottfried Ursula Brocks, die er bei seiner neuen Arbeit als Diakon in Schweicheln bei Herford, Buchenhof (einem offenen Heim für Schwererziehbare und Kindern aus zerrütteten Familien) kennengelernt hatte.


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Hochzeit Ursel und Gottfried Schönknecht



Am Vortag wurde es dramatisch: Es war der Geburtstag meiner kämpferischen Tante Hanna, die über irgendetwas mit menem Vater aneinander aneinangeriet. Er wollte ihr kurz darauf trotzdem gratulieren, sie schlug seine Hand aus. Meine Mutter wollte vermitteln, was ihre Schwester zur wütenden Äußerung veranlasste: "Ich bin doch mit Deinem Ollen nicht verheiratet!" Mein immer schon leicht cholerischer Vater: "Sei bloß froh, sonst hätteste jeden Tag Dresche jekriegt!" "Ahh, wag es nur" mit diesen Worten und hoch erhobenen kräftigen Fäusten (sie war immerhin Masseurin) schoß seine Schwägerin auf ihn los ....und alle Kinder gingen dazwischen mit diversen Ausrufen...Ort dieses Volkstücks in Berliner Dialekt war der gut besetzte Gastraum des "Schweichelner Krugs".



Frieder und junge Familie ca. 1966

1963 erhielten wir einen Brief mit einem Photo und der etwas kargen Botschaft: "Das Mädchen an meiner Seite heißt Holly van Doren und wir heiraten dann und wann". Die van Dorens waren eine uralte Familie an der Ostküste weit verbreitet. Diese Hochzeit fand 1964 statt. Damit begann für unsere Mutter die amerikanische Zeit. Bis zu ihrem Tod war sie etwa 10 mal "drüben", lernte passabel Englisch mit ihren Enkeln und fühlte sich bei den Familien dort wie zu Hause, ob in New Jersey oder Seattle. Sie kaufte gern ein, besonders in den sog "thrift shops" mit preiswerten, gebrauchten Sachen, vornehmlich Kleidung. Sie ging selbständig in Büchereien und spielte mit den Kindern, die ihre Omi bald sehr liebten.



Tanz mit ihrem ältesten Sohn auf dessen Hochzeit in New Jersey Ende 1963


Fritz und Holly am Atlantik ca 1964 Mutti und die amerikanischen Enkel, ca 1972

Dieser Ehe entstammten Heidi Elisabeth (*2.4.1964), Katrina Anne (*29.7,1966) und Fritz David (16.1.1968), sie alle drei inzwischen verheiratet, haben eigene Kinder, Urenkel meiner Mutter.





Hanna's Kirchliche Heirat, 1twa 1967. mit russisch-orthodoxem Ritual, Mutti im Hintergrund rechts



Hanna und Alex Tschekunow



Hanna mit Tante Hanna und Mutti, ca 1958



Die drei Schwestern, aufgenommen wohl anläßlich der goldenen Hochzeit unserer Tante Lieschen, ca 1970

Trotz der räumlichen Trennung von ihrem Mann, den sie bis zu ihrem Tod geliebt hat, genoß meine Mutter die nächsten Jahre. Sie hatte, nach und nach, 8 Enkel und trug stolz eine Armkette mit 8 Kinderkopfsilhouetten. Sie wohnte ab ca 1962 mit meinem Bruder Heiner und mir bei einer älteren Dame in "Mariendorfer Damm 165" und zog dann mit Heiner und seiner Frau, Dr. Marianne Schulz-Koffka nach Hannover, wo deren 3 Kinder, Sabine 1968, Andrea 1970 und Christian 1973 zur Welt kamen.

Heiners junge Familie 1973

Ebenso oft reiste sie nach Schweicheln zu Gottfried und Ursel und deren beiden Kindern, Axel (1963) und Heiko (1965). Mit Ursels zahlreiher Familie hatte sie dort besten Kontakt. Und natürlich auch mit den anderen Enkeln. In den USA erzählte sie gerne, welche Prachtstücke doch ihre Enkel im anderen Erdteil seien.


Mutti, Heidi und Katrina ca 1967

1966 fuhr ich mit Mutti zur Hochzeit meines Vetters Peter Knüppel nach Biberach bei Heilbronn. Beide machten wir uns beliebt indem wir fleißig beim Trinken mit den neuen Verwandten, die wir manchmal sprachlich nicht ganz verstehen konnten, mithielten. Auch Peters Eltern waren dabei, mein Onkel Ernst lud Mutti und mich ein, gemeinsam in seinem Auto zurückzufahren, sein Fahrstil war so absonderlich und gefährlich dass ich mich schon unterwegs verabschiedete um allein nach Wuppertal mit "meiner" Bahn zu fahren.



Biberach 9.9.1966 Peters Geburtstag und der beiden (Peter Knüppel und Julie Kübler) Hochzeitstag. Mutti schrieb später einen lieben Brief an die Eltern von Julie

In den USA wurde meine Mutter gebeten, beinahe gedrängt, doch drüben leben zu bleiben. Dies hätte sich wahrscheinlich positiv ausgewirkt als sich mein Bruder Fritz und seine Frau Holly scheiden liessen und eine weibliche Betreuung die Chancen meines Bruders auf eine Zuordnung der 3 Kinder zu ihm sicher erhöht hätten. Er heiratete dann 1985 JoAna Nichols geb. Beller.

1971 kehrte ich von meiner Reise nach Israel (mehr davon in meiner eigenen Biagraphie) zurück und wurde, trotz allem was vielleicht gegen mich sprach, von meiner Mutter sehr lieb aufgenommen. Wir wohnten im vierten Stock am Platz in Hannover, im ersten Stock wohnte mein Bruder Heiner mit Familie. So hatte sie viel Kontakt mit den 3 Enkeln dort, die auch sehr gern zu ihr nach oben kamen, obwohl es dort etwas strenger zuging (so meine Nichte Sabine) als bei den Eltern, beide ja brufstätig, sie als Fachärztin, er als Lehrer. Die Mutter war auch immer dabei, wenn es zu Wochenenden und in der Ferien nach Winsen/Aller ging, wo mein Bruder ein altes Bauernhaus kaufte, langsam umgestaltete und in dem das Ehepaar jetzt permanent lebt. Meine Mutter kümmerte sich um vieles, z.B. die anfangs unumgängliche Ofenheizung. Später zogen dann Mariannes Eltern auch nach Winsen, direkt nebenan und es ergab sich ein guter Kontakt.



Mutti an einem Schreibtisch, ich weiß nicht wo und wann diese Aufnahme entstand

In ihren späten Jahren hatte allerdings meine Mutter nur wenig Kontakt mit Aussenstehenden. Sie litt an Kreuzsschmerzen, an quälenden Hämorrhoiden, an ihren Krampfadern (beide Beine) und wohl auch Depressionen. Manchmal besuchte sie ihr Mann was sie jedesmal aufregte, bis zum Ende hat sie ihn geliebt. Durch meine Alkoholkrankheit kümmerte ich mich wenig um sie und kostete sie leider auch Geld. Später bin ich dann in eine eigene Wohnun in Hannover umgezogen. Sie hatte auch wenig Kontakt mit den Nachbarn und wollte nicht zu irgendwelchen Vereinen gehen, wie ihre Kinder vorschlugen. Wir sassen viel zusammen, rauchten beide und nahmen auch Schnaps oder Wein zu uns. Sie erzählte dann gern von früher und kam immer wieder auf ihren Mann zu sprechen.

Im Herbst 1978 kam sie von einer USA-Reise zurück und kam uns leider etwas verstört vor. Ein Krankenhausaufenthalt wurde notwenig, ich habe sie dort, leider nur einmal, besucht. Sie war ansprechbar aber sehr müde. Dort, im Henriettenstift, ist sie dann gestorben, am 12.10.1978 mit knapp 69 Jahren. Es gab keine große Hinterlassenschaft, Papiere o.ä., wie traurig für so ein erfülltes Leben.



Standesamtliche Todesbescheinigung Muttis Grab



Hinter dem Sarg sieht man Birgit und Julie Knüppel, mein Bruder Fritz führt unsere Tante Hanna, dahinter Jutta Schneider und ihre Mutter, Lotti Jannusch. Dahinter mein Vater, die Dame an seiner Seite ist nicht seine spätere 2. Frau.

Ihr Leichnam wurde nach Berlin überführt und dort auf dem Mariendorfer Friedhof , unter großer Teilnahme, beerdigt. Es war dort ein Gemeinschaftsgrab für sie und ihren Mann vorgesehen, gegenüber wurde dann 1986 ihre Schwester Hanna Knüppel, geb Karnatz, beerdigt. Schon ein Jahr später, 25.7.1979 heiratete ihr Mann, mein Vater, seine langjährige Freundin, Ruth Annaliese Schramm (1923 - 2014) in Berlin. Da diese die Erbin meines Vater war hat sie dann verfügt, dass beide Gräber über die Pflichtzeit hinaus nicht erhalten bleiben sollten! So ist auf dem Mariendorfer Friedhof nur nach das Grab ihrer Schwester, meiner lieben Tante Hanna, zu finden das von ihren Kindern gepflegt wird.








Wird fortgesetzt






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