Kurt Bruno Walter Schönknecht,
2.10.1900 - 12.2.1981
Es fällt mir schwer, über meinen Vater objektiv zu schreiben. Er hat meiner Mutter durch seine jahrzehntelange Untreue sehr weh getan und durch sein Desinteresse, nach 1945, an seiner Familie hat auch meinen Lebenslauf negativ beeinflußt. Ich sage dies ganz klar schon zu Begin, damit ich von hier aus nur noch Fakten berichten kann.
Die Eltern waren einfache, bürgerliche Menschen. Mein Grossvater wurde allerdings unehelich in der ehem. Neumark, also östlich von Berlin im heutigen Polen, geboren. Ein solches "Makel", unehelich zu sein, wohl ohne schwere Bedeutung heute, war damals eine große Belastung unter der er wohl fast sein ganzes Leben zu tragen hatte. Meine Grossmutter, eine geborene Werk, lernte Putzmacherin und war auf Gestaltung von Damenhüten speialisiert. Sie stammte aus einer großen Familie^, war seit ihrer Jugend durch ein Beinleiden behindert und fuhr längere Strecken nur in einem großen Rollstuh, siehe Photo weiter untenl. Mein Vater war ihr drittes Kind. Ein Junge, Hugo Fritz Benno, lebte nach seinr Geburt nur ein paar Monate; das zweite Kind war Fritz Carl Erich 1898 - .1920 der noch im 1. Weltkrieg mitkämpfen mußte und dann, als gelernter Buchbinder, in der Friedenskonferenz von Versailles 1919 in seinem Beruf tätig wurde, ein ganzer Stab von Buchbindern war mit den vielen Schriftstücken der monatelangen Verhandlungen sehr ausgelastet. Er starb, wohl an einer Lungenentzündung, schon 1920 in Berlin.
Fritz Carl Erich Schönknecht, 1898 - 1920 Fritz, Kurt und Lotte Schönknecht ca. 1910
Der frühe Tod seines innig geliebten nur wenig älteren Bruders (von dem noch Ansichtskarten aus Frankreich 1919 an unseren Vater existieren) muß diesen sehr mitgenommen haben, zumal er, beim Standesamt Charlottenburg (es gehörte noch nicht zu Berlin) dessen Tod anzeigen mußte. Es ist nicht mehr feststellbar, warum diese Formalität nicht durch den Vater erledigt wurde und ich stelle mir vor, dass dieser, der ein weicher Mann war und in der Familie liebevoll "Vatchen" genannt wurde, zu sehr unter dem Verlust gelitten hat. Die Familie wohnte damals in der Eosanderstr. 4 in Charlottenburg, zuvor in der Ackerstr. 64.
Ein paar Worte zu Charlottenburg: Seine Geschichte beginnt mit dem Dorf Lietzow, auch: Lietze, Lutze, Lutzen, Lützow, Lusze, Lütze und Lucene genannt) das 1239 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Kurfürst Friedrich III von Brandenburg, (später König Friedrich I in Preussen) liess dort für seine Gemahlin Sophie Charlotte 1699 das Sommerschloß Lützenburg bauen, zunächst klein, später zu einem repräsentativen Bau erweitert. Nach dem Tod von Sophie Charlotte 1705 gab der König dem Ort den Namen Charlottenburg und das Stadtrecht. Einige Jahre war er auch förmlich der Bürgermeister der kleinen Stadt! Das wunderschöne Schloss war, besonders bis 1989, eins der Vorzeigeobjekte der Stadt und ist es heute noch.
Vater war immer sehr stolz darauf, ein Preusse und ein Charlottenburger, auch nach Geburtsurkunde, zu sein. Erst 1920 wurde seine Vaterstadt zu Berlin eingemeindet. Er wurde am 2.10.1900 in der Krummestr. Nr. 86, Hinterhaus parterre um 10:00 vormittags geboren. Diese Strasse hieß schon seit ca 1800 so, wegen ihres gekrümmten Verlaufs. Sein Vater ist im Adressbuch dieses Jahres als "Buchbindermeister und Papierhandl." gelistet, ich fürchte, hierbei wurde etwas übertrieben. Die "Papierhandlung" wurde im Buch von 1901 nicht mehr erwähnt und nach bisherigen Forschungen war der Vater auch kein Meister (mit dementspr. Meisterprüfung) seines Gewerbes. 1902 in etwa muss die Familie umgezogen sein, nun gilt Krummestr. 9 pt. Whg. 2 als Anschrift, wie auch in folgenden Jahren bis 1907, 1908-1910 wohnte man in der Spreestr. 4., ab 1910 bis 1931 in der Eosanderstr. 4 1. Stock, mit den beiden Kindern. Charlotte Erna Emmi Schönknecht kam dann am 26.12. 1906 zur Welt.
Charlotte Schönknecht, mit ca. zwei... und ca. 25 Jahren
Eine Taufbeschinigung von meinem Vater habe ich noch nicht. Ich vermute, dass er in der Luisenkirche (1716 geweiht), am Luisenplatz, getauft wurde. Über seine ersten Jahre liegen mir keine Unterlagen oder Photos vor. Er ist wohl auf eine Volksschule gegangen, die normale Schulzeit hierfür lag bei 8 Jahren und er erhielt dort auch Unterricht in Französsich. Anschließend ging er auf eine Handelsfachschule und absolvierte eine kaufmännische Lehre (wo, muß ich noch feststellen) und wurde aus beidem 1918 entlassen. Laut seinem Wehrpass war er dann vom 25.11.1918 bis zum 3.10.1919, knapp ein Jahr also, in Breslau einer Einheit des deutschen Heeres zugehörig. Für mich erstaunlich, dass so spät noch so junge Männer eingezogen wurden.Im Juni 1919 erreichten ihn Ansichtskarten seines Bruder der, wie erwähnz. bei der "Deutschen Friedensdelegation" in Versailles als Buchbinder tätig war. Er ist in Berlin als kaufm. Angestellter, u.a. bei Siemens und der Reichshauptbank angestellt, später dann bei "Grün & Bilfinger" in Mannheim und Dortmund.
1906 gab es in Berlin christl. Kreise, B.K., "Bibelkränzchen" genannt, später Bibelkreise, einer davon (oder mehrere) trafen sich in der Trinitatiskirche, wo man sich bald "Christlicher Verein Junger Männer Charlottenburg" nannte. Man fühlte sich vom viel größeren CVJM Berlin (Wilhelmstr.) unabhängig, Charlottenburg war ja auch eine eigene Stadt. Seit wann mein Vater diesem Verein angehörte, ob er z.B. schon als Junge dabei war, ist mir nicht bekannt. Er hat aber schon bald nach dem 1. Weltkrieg als Gruppenleiter in der Knaben- und Jungenabteilung gearbeitet und es gibt zahlreiche Photos, die ihn auf Fahrten in die Umgebung von Berlin zeigen. Wie mir mein Vater sehr viel später, erzählte, hat bei den Jungen und jungen Männer auch Homoerotik eine Rolle gespielt, echt schwul, im heutigen Sinne, war aber wohl keiner.
Zum CVJM bzw YMCA will ich mich etwas äußern, denn "d e r Verein" wie er bei uns hieß, hat ihm seit seiner Jugend bis zum Lebensende sehr viel bedeutet, er war ein wichtiger Teil seines und damit auch unseres Lebens. Der YMCA (in den USA kurz "Y" genannt) wurde am 6. Juni 1844 in London gegründet, 1852 folgte Paris und dann viele andere Orte international. Übrigens, der spätere Gründer des Roten Kreuzes und erste Friedensnobelpreisträger, Henri Dunant, war Mitbegründer und Sekretär des CVJM Genf. Unter den Nazis, da muß ich mal etwas vorgreifen, wurde der CVJM erst schwer drangsaliert, viele Aktionen und die Jugendarbeit generell untersagt und dann 1938 nsgesamt verboten.
Jugend- und Erwachsenenfreundschaften waren Vaters Familie, zumindest in den Jugend- und jungen Erwachsenenzeiten und so waren also Vaters Freunde wie nahe Verwandte, wir nannten die Älteren "Onkel und Tante". Dazu gehörten die Familien Breddin, Feist, Simon, Wittwer, Beckmann, Leininger, Hilliges, Zimmermann u.a. mit denen wir viele Feste feierten und bei Freizeiten (z.B. Dampferfahrten und Vereinstage im Johannesstift in Berlin) zusammen waren, mit deren Kindern aufwuchsen und bis heute noch Kontakt halten. Bezeichnend ist, dass einige der Freunde auch um dieselbe Zeit 1930 geheiratet haben so auch Vaters Schwester Lotte und sein Schwager und Vereinsfreund Hans Dorn. Das ist vielleicht für heutiges Denken unwirklich und kaum vorstellbar. Ich habe es als Kind nur hingenommen, mich ein wenig gewundert, da meine Freunde so etwas nicht kannten.
Die 5 Freunde sind, von links nach rechts, Gerhard Breddin, Rudolf Simon, Kurt Elsner, Kurt Schönknecht (man beachte: Schlips mit Nadel und weißer Kragen, dazu salopp eine weite Halblanghose, keine Socken oder Strümpfe) und Arthur Feist, mit noch langen Haaren (später zur Glatze mutiert)
Wie und wo er meine Mutter, Ruth Esther Karnatz, kennengelernt hat ist mir noch nicht klar, es muß etwa 1929 in einer christlichen Gemeinschaft gewesen. Sie war 20 Jahre alt und wurde als Vollwaise zur Pflegetochter beim Ehepaar Reinhardt Richard und Marie Reinhardt aufgenommen und sehr liebevoll erzogen. Sicher waren auch diese in Berlin in einer "Gemeinschaft", wahrscheinlich die der Stadtmission (damals sehr verbreitet in Berlin). Mehr hierzu auf der Seite mit der Biographie meiner Mutter, die später hier erstellt wird. Am 18.9.1929, dem 20. Geburtstag meiner Mutter verlobten sie sich.
Das Hochzeitspaar und die Hochzeitstafel 1930. Die Photos sind leider, auch mit Tricks, nicht viel besser zu machen. An der Hochzeitstafel, mit etwas Mühe, zu erkennen, Lotte und Hans Dorn (auf der Bank vorn). Ganz hinten rechts Tante Hanna Knüppel (damals noch Karnatz) mit der weißen Diakonissen- oder Diakonieschwesternhaube.
Sie heiraten in Charlottenburg am 17.5.1930 und ziehen in eine gemeinsame Wohnung, Berliner Str. 106 im dritten Stock. 8, dies ist noch nicht ganz 100% sicher. 8 Monate später, am 16.2.1931 kommt mein Bruder Fritz Daniel Schönknecht zur Welt, im nächsten Jahr, am 22.3.1932 sein Bruder Gottfried Wolfgang Schönknecht, den Mittelnamen Wolfgang hat mein Vater ihm wohl als glühender Verehrer Johann Wolfgang von Goethes gegeben.
Nach seinen verschiedenen kaufmännischen Tätigkeiten trat mein Vater 1928 in den städtischen Dienst beim Magistrat Charlottenburg, Gesundheitsamt und klettert schnell dort in der Hierarchie nach oben . 1932 wird er in das Beamtenverhältnis berufen. Das Paar ist wohl mehrfach umgezogen, das Adressbuch Berlin 1932 zeigte eine Wohnung in der Klausthaler Str.33, und ab 1935 Fredericiastr.10 dort wurde am 7.2.1935 mein Bruder Heiner Johannes Schönknecht geboren und von den älteren Brüder bestaunt.
Eine neue Heimat fand die Familie 1936 in der Spandauer Chaussee 33/34 dort ist dann am 30.7.37 meine Schwester Hanna Lore Schönknecht geboren.
Die kleine Hanna mit unserer Oma Schönknecht, geb. Werk. Sie wohnten im späteren Domizil Preussenallee auch zusammen in einem Zimmer und haben sich sehr gut verstanden,
Bei der Wahl dieser Wohnung, Kavaliershaus des Schlosses Ruhwald, Ruhwaldpark wird mein Vater wohl ein wenig "Vitamin B" = Beziehungen" beigegeben haben! Zur Geschichte: Das Gelände, mit weit reichendem Ausblick über die Spree , die Havel hinauf bis zum Tegeler See (inzwischen leider durch gewachsenen Baumbestand verlorengegangen) , wurde vom Verleger Ludwig von Schaeffer-Voit, er brachte die erste deutsche illustrierte Damen-und Modezeitschrift namens „Bazar“ heraus, in den 1860er Jahren erworben der dann 1868 dort eine klassizistische Villa, das Schloß Ruhwald errichten liess. Er verkaufte die Anlage aber schon 1872 an den Unternehmer Johann Hoff. Ein Jahr später liess dieser Herr das Kavaliershaus mit einer Freitreppe und einem breiten Arkadengang errichten. Das Schloß wechselte noch einigemale den Besitzer, u.a. eine Bierbrauerei und eine Nervenheilanstalt. 1937 ließ der letzte Besitzer, der Bezirk Charlottenburg, das Schloss und seine Nebengebäude abreißen, wohl weil eine Renovierung zu teuer gewesen wäre. Nur Arkadengang und Kavaliershaus im Stil der italienischen Frührenaissance blieben vorerst erhalten.
Eine herrliche Spielstätte für die Kinder, meine Geschwister haben mir oft davon vorgeschwärmt. Es wohnten noch weitere Familien im Haus, allerdings waren die Toilettem einen Stock tiefer gelegen. Ein langer Flur wurde mit einer weitausholenden Schaukel verschönert. Leider habe ich bisher keine Fotos hierzu, vielleicht folgen sie noch. Das alte Schloß kann man im Internet bewundern.
20 Nov 1937 starb sein Vater in Nauen/Brandenburg wo er und seine Frau wohl bei der Familie Dorn (Tochter und Schwiegersohn, wohnten an Arterienverkalkung, "Vatchen" wie er genannt wurde (siehe weiter oben) war ein sensibler, liebenswürdiger Mann den jeder mochte. Er wurde leider nur 66 Jahre alt und sein Tod muß meinem Vater (und natürlich der ganzen Familie, sehr weh getan haben.
Vater wurde 1938 zum Leitenden Fürsorger ernannt, wurde dann aber 6.11.1939 zur Wehrmacht eingezogen, seinen Wehrpass mit Erkennungsmarke und Hakenkreuz (im Wasserzeichen), hatte er schon am 9.2.1938 erhalten. Eine Untersuchung bescheinigte ihm dann 26.9.39 "k.v.", also kriegsverwendungsfähig, tauglich für jeden Dienst. Hitler hatte am 1.September 1939 Polen überfallen lassen und damit den zweiten Weltkrieg in Gang gesetzt. Mein Vater war nie Mitglied der NSDAP und hat sicher sehr ungern die Uniform angezogen. Er hat hierüber, zumindest in meiner Gegenwart, nie gesprochen. Damals blieb wohl nichts anderes übrig, als zu gehorchen, obwohl er ab sofort jeden Tag mit seinem Tod oder einer Verwundung rechnen mußte. Seit Gründung der Deutschen Wehrmacht 1935 gab es keine Möglichkeit zur Kriegsdienstverweigerung ohne mit dem Tod rechnen zu müssen. Einige Mitglieder der Bekennenden Kirche, z.B. Dietrich Bonhoeffer wurden deswegen hingerichtet. Eine Auswanderung war nur schwer möglich, wie auch, mit 4 Kindern und kaum Geldmitteln. Eventuell hat man auch, wenn überhaupt, mit einem nur kurzen Feldzug gerechnet. Außerdem war seine Generation zu Pflichterfüllung und Gehorsam erzogen. Am 31.8.1935 schon hatte er einen Fahneneid auf "Führer und Reichskanzler Adolf Hitler" ablegen müssen und dieser Eid galt damals in Deutschland als absolut binden. In dieser Zeit hat er auch bei einer Pioniereinheit fast 2 Monate "üben" müssen. Trotzdem muss es für ihn und seine Familie unsagbar, fast untragbar hart gewesen sein. Am 19.10.1935 schon wurde er übrigens vom Gefreiten der Reserve zum Unteroffizier-Anwärter ernannt.
Sicher hat er sich mit seinen Freunden und Verwandten lange und oft besprochen. Auch die CVJM - Freunde wurden alle eingezogen und es gab kein Beispiel für einen Ausweg, auch war ja die Information und Kommunikation schon total eingeschränkt. Sein Interesse an Genealogie, das er mir vererbt hat, half ihm bei der obligatorischen Ahnenforschung, mit der man jüdische Wurzeln feststellen wollte. Er schrieb an viele verschiedene Standesämter und Kirchen um mehr Daten zu sammeln und er erreichte sogar von seiner Großmutter, Amalie Henriette Schönknecht (später Kleemann) dass sie nun, nach 56 Jahren den Erzeuger ihres ersten Sohnes der unehelich geboren wurde und darunter sein gesamtes Leben gelitten hat, meines Grossvaters, bekannt gab, nämlich den Friedrich Heinrich Lehmann aus Albrechtsbruch, der also unser Urgrossvater war.
Vater ist auch einigemale in die Neumark, östlich von Berlin, jenseits der Oder gereist - ob er dabei auch seinen Grossvater, der ja inzwischen schon längst verheiratet war, besucht hat entzieht sich meiner Kenntnis.
Ich entnehme seiner Feldpostnummer (unter der man Post an die Soldaten senden konnte), dass er nach der Mobilmachung beim Feldlazarett für 23. Infanterie-Division diente. Er wurde also dort eingesetzt, wohin die Verwundeten von der Front gebracht wurden, diese Division kämpfte anfangs im Polenfeldzug und wurde dann nach Westen verlegt. Die weiteren Dienstorte kann man der Tabelle unten entnehmen.
Aktiver Wehrdienst bis 1940. Photo in Uniform mit Stahlhelm Gr. 56
Man kann also sicher sein, dass er im Krieg (obwohl am Sturmgewehr 98 ausgebildet), niemand getötet hat. Er hatte auch bestimmt nichts gegen Juden und andere Gruppen die willkürlich ins KZ kamen und gemordet wurden. Ende des "Frankreich-Feldzuges" ging es in die Heimat weiter in der Wehrmacht, bei Ersatz Batallionen, bis 1940. Im Wehrpass findet die Zeit danach, bis 1944, keine Erwähnung. In einem Buch (er schrieb viele, meist sehr christlich tendenziös) des Pastors und Missionars Hans Brandenburg fand ich allerdings eine Stelle für das Jahr 1943, die ich wie folgt kurz zitiere: Von den Unteroffizieren muss ich einen ausnehmen (er bezeichnet die Uffz. als verspätet pubertär): Als wir in die Unterkunft kamen stand da einer, sah mich und sagte: 'Na, da ist ja sogar Pastor Brandenburg.' Es war unser Sanitätsunteroffzier. Er war aus dem Berliner CVJM und kannte mich von Evangelisationen her und bald wurden wir enge Freunde." Das war Anfang 1943 und im Juni desselben Jahres wurde Pastor Brandenburg dann mein Patenonkel in der Dorfkirche zu Tremmen im Havelland, wohin meine Familie vor den alliierten Bombenangriffen, Berlin mußte am meisten darunter leiden, evakuiert wurde. Rechnet man zurück, muß mein Vater also zum Geburtstag meiner Mutter in deren unmittelbarer Nähe gewesen sein!!
Weiter geht seine Militärzeit dann lt. Wehrpass in der Sanitäts- und Ausbildungsabteilung 3 und ab Juli 1944 bei der motorisierte Sanitäts-Kompanie 1541 Diese wurde bei den schweren Abwehrkräften gegen die sowjetischen Armeen im äußersten Norden Ostpreussens, dem Samland eingesetzt und man kann nur ahnen, welche Schwerverwundeten mein Vater zu betreuen hatte. Die Eintragungen in seinem Wehrpass enden mit dem 4.3.1945; er schreibt aber am 5.2.1945 zum Geburtstag seiner Mutter einen Feldpostbrief. Es wurden wohl keine Eintragungen mehr möglich, die Truppe war in Auflösung. Am 25.3.45 setzt ein Tagebuch meines Vaters ein. Mit Kopierstift geschriebn schwer lesbar, ich habe eine Übertragung in Normalschrift hier auf meiner Seite eingestellt. Kriegstagebuch meines Vaters
Nun möchte ich ein wenig beleuchten, welch ein Mensch mein Vater war. Zugegebenermasse habe ich ja ihn erst spät kennengelernt und er mag vor dem Krieg ganz anders gewesen sein : Er war etwa 1,75 m groß, früher sehr schlank und von sportlicher Firgut, später mit ausgeprägten Bauch. Er hatte früher schwarzes, später weisses Haar und braune Augen, die viel von seiner augenblicklichen Verfassung ausdrückten. Sie konnten vor Zorn funkeln oder aber vor Vergnügen und Liebe strahlen. Er hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und setzte sich für Unterprivillegierte vehement ein (Er ware schon früh aktives Mitglied der ÖTV (Gewerkschaft öffentlicher Dienste, Transport und Verkehr). Gegenüber Vorgesetzten sagte er unverhüllt seine Meinung und hatte deshalb einige Schwierigkeiten von denen er auch zu Hause viel erzählte.Sport trieb er seit früher Jugend und ich kenne ihn als begeisterten Schwimmer der meist sogar viel unter Wasser tauchte. Er war vom Sternzeichen "Waage", diese Menschen sind ja sehr an Gerechtigkeit interessiert und für sie konnte sich auch mein Vater einsetzen. Es ist schwer (und war sicher auch schwer für ihn selbst) dies mit seinem Doppelverhältnis (Frau und Geliebte) über Jahrzehnte zu vereinbaren. Ich meine dass er vor 1949 ein sehr liebender und stolzer Vater war, dass er dann aber (und so kenne ich ihn nur) durch seelische u n d berufliche Belastung reizbar und teilweise agressiv wurde. Nachts konnte er nur schlecht schlafen und schrie manchmal sehr laut und lange, geplagt von schlechten Träumen. Auch legte er sich in Geschäften sehr schnell mit den Verkäufern an, was mir und meinen Geschwistern sehr peinlich war. Zu Weihnachten engagierte er sich sehr, wir erhielten einen wunderschönen Christbaum, Geschenke und jeder einen buten Teller mit div. Süßigkeiten. Er hatte mehrere Hobbies: Fotografie, Bücher, sein CVJM, die Genealogie. Zum ersteren sammelten sich über die Zeit verschiedene Kameras und entspr. Ausrüstung an, die Aufnahmen waren immer sehr zeitaufwendig (Schnappschüsse kannte er nicht) auch wegen der damals notwendigen Abstand- und Belichtungsmessungen. Viele Dias wurden gesammelt, ich weiß nicht wo sie geblieben sind. Das zweite Hobby, die Bücher, war sein ganzer Stolz. Dadurch war er sehr belesen und kannte sich mit erstaunlich vielen Dingen aus. Grosser Verehrer war er vom Geheimrat Goethe von dem er wohl soviel wie damals möglich kannte. Er ass sehr gern, besonders Fettiges und Geräuchertes, Bücklinge und Sprotten z.B. die auf dem Nachhauseweg irgendwo erworben hatte. Ergänzend beschäftigte er sich sehr gern mit Einbinden von alten Büchern, sehr akkurat und dem Vorbild seiner Vaters und Bruders folgend, die ja beide Buchbinder waren. Leidenschaftlich wußte er Papiere zu sortieren und übersichtlich abzulegen, auch dies habe ich von ihm geerbt. Er war recht gesund, abgesehen von einem Karbunkel o.ä. in den letzte Kriegstagen, von einem Leistenbruch, von Ischias und von schmezhaften, wiederkehrenden Aphten (Mundentzündungen) und einer späteren Prostata Erkrankung und folgender Operation. In den frühen 60ern plagten ihn Herzschmerzen und er bekam einen Schrittmacher in der Brust implantiert, die sichtbare Erhöhung dieses Teils zeigte er gern. Er trank kaum Alkohol (gehörte dem Blauen Kreuz an) und war Nichtraucher. Die Familienkunde betrieb er etwa ab 1937 sehr intensiv, angeregt wohl durch die notwendigen Nachforschungen unter Nazis nach jüdischen Vorfahren. Er schrieb sehr viele Briefe, quasi amtlich, also von seiner Dienststelle aus, an diverse Kirchen- und Standesämter, vieles davon liegt mir vor.
Sein Humor und seine Schlagfertigkeit waren bei Freunden und Verwandten bekannt - sie haben sich, denke ich, auch an seine Nachkommen vererbt. Einmal sassen wir bei einem Hauskonzert Bruder Heiner war begabter Spieler auf verschiedenen Holzblasinstrumenten, und er zog heimlich, nur für mich sichtbar, ein Buch aus einem Regal "Die Elenden" von V. Hugo - in Bezug auf die Musikanten. Ich habe laut loslachen müssen. Ein anderesmal, da war ich noch sehr klein, sassen wir in einem Warteraum mit vielen anderen Personen, in der Raummitte stand eine hohe Leiter, ein Handwerker stand darauf und schraubte an einer Lampe. Mein Vater mußte niesen und der Mann auf der Leiter wünschte laut "Gesundheit". "Na, die wünsch' ick vor allem Ihnen da ober", war Replik meines Vaters. In den Jahren ab 1957 in unserem Bungalow in Berlin-Mariendorf wurde er zum begeisterten Gärtner und pflanzte z.T. ausgefallene Pflanzen an. Besonders war auch ein riesiger Findling, den er wer weiß woher erworben hatte und der mit technischen Hilfsmitteln mühsam in eine Ecke des ja absolut nicht großen Gartens gehievt wurde. Daneben stand eine seltene Trauerbirke. Auch gab es einen kleinen Steingarten, auf den er besonders stolz war. Morgens früh an Sonntagen, wenn alles andere noch schlief, machte er sich, pfeifend und summend, im Garten zu schaffen und legte gern auch Geräte auf das Fensterbrett vor unseren Schlafzimmern - natürlich wachte alles auf und hatte ihn dann noch lieber als gewöhnlich. Er war ein begeisterter Reisender, besonders nach Italien, auf Goethes Spuren. Aber auch mit andere Ehepaar des CVJM Freundeskreis ins Fichtelgebirge, ich war mehrfach dabei, wobei ausgiebig gewandert und gesungen wurde. Erstaunlich ist für mich, dass er uns gegenüber eine altmodisch-prüde Haltung vorgab (und doch selbst jahrzehntelang eine Liebhaberin hatte). So verbot er uns, im Radio ein Lied der Ulknudel Trude Herr zu hören "Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann!" Wir wurden auch nie sexuell aufgeklärt
Zurück zur Lebensgeschichte: An der äußersten nord-östlichen Front, dem ostpreußischen Samland, war seine Einheit unglaublich schweren Angriffen, in der blutigen Schlacht um Ostpreussen, durch die russische 11. Armee, ausgesetzt. Für uns unvollstellbar, der dauernde Artellerie- und Fliegerbeschuss dem die Deutschen nur noch wenig entgegensetzen konnten. Im April 1945 erfolgte der Befehl, sich in einzelnen Gruppen gen Westen abzusetzen. Er tat dies, mit einigen Kameraden und war nun auch den eigenen Geschütze und Flakbeschuß auf dem Weg nach Pillau, vorbei am eingeschlossenen Königsberg, (meist bei Nacht) ausgesetzt. In Pillau erreichte er ein Schiff zu Halbinsel Hela und dort ein anderes Schiff (dessen Namen ich leider nicht entziffern konnte, eines der letzten über die Ostsee. Vor ihm waren schon mehrere große Schiffe, z.B. die bekannte "Wilhelm Gustloff" durch Bomben und Torpedos versenkt worden, insgesamt kamen dabei Zehntausende ums Leben. Die ganze Evakuierung Ostpreussens wurde für eine Million Menschen, Soldaten und Zivilisten, "organisiert". Mein Vater kam in Kap Arkona, Rügen wohlbehalten an, von dort gab es einen Marschbefehl weiter mit der Eisenbahn, die natürlich ständig von Fliegern beschossen wurde, bis Wismar.
Von Wismar aus ging es zu Fuß weiter, dem "Tommy" entgegen, Kanadier oder Engländer nahmen ihn "gefangen" indem sie ihm erstens sein Fernglas abnahmen und zweitens den Weg zum nächsten Sammellager zeigten! Es ging also alles sehr friedlich zu. Das war am 2.5.1945, das Kriegsende am 8.5. findet keine Erwähnung im Tagebuch, wahrscheinlich hat man das nicht so mitbekommen im Lager. Dort herrschten wirklich schreckliche Zustände, die Briten waren auf einen derartigen Ansturm, ca. 20 000 Mann, nicht gefasst, man schlief auf der Erde und die Verpflegung war schlecht. Man behalf sich mit dem Ausbuddeln von Kartoffeln, die dann auf offenem Feuer gekocht wurde; Wasser gab es nur aus einer einzigen alten Pumpe, die auch oft versagte, sodass man stundenlang anstehen mußte. Es besserte sich erst als die Amerikaner das Lager übernahmen, Zelte anschafften und die Verpflegung aufbesserten. Mein Vater las fleißig in der Bibel und den täglichen Losungen und schloß sich bald auch einem christlichen Kreis im Lager an. Einmal grüßte er, in alter Gewohnheit, einen deutschen Lageroberen mit "Heil Hitler" aber das wurde nicht übel vermerkt.
Ein Zug Kriegsgefangener kam sogar durch Bad Segeberg, wo ja, wir alle, die Restfamilie nach der Flucht vor den Russen untergekommen war. Ein unglaublicher Zufall: Meine ältesten Brüder standen am Strassenrand und hielten ein Schild hoch "Schönknecht". Er sah es und durfte mit Besatzer-Erlaubnis ausscheren und sie umarmen. Mein Bruder Fritz rannte dann los in unsere winzige Wohnung und teilte seiner Mutter vorsichtig mit: "Mutti, da unten ist ein Soldat, der kennt Vati". "Dann hol ihn doch hoch!" antwortete sie, Fritz rannte wieder runter und mein Vater bekam die Erlaubnis, kurz zu uns hochzukommen und seine Familie endlich wieder zu sehen.
Seltene Aufnahme vom Zug deutscher Gefangener durch Bad Segeberg
Kurz darauf, am 6.10.1945 kam er frei, Sanitäter wurden zuerst entlassen. In einem Sammeltransport ging es in die Heimat Berlin. Am 2.11.45 wurde er "vorschriftsmäßig entlaust" auch darüber gibt es amtliches Schriftstück, vom Vater ordentlich abgelegt, siehe oben. Irgendwann, irgendwo muss ihn dann die schreckliche Nachricht vom Tod seiner Schwester und seines Schwager, Lotte und Hans Dorn, bei einem Eisenbahnunglück vor Nauen/Brandenburg erreicht haben. Ich habe hierüber einen Artikel geschrieben, den man hier unter http://www.schoenknecht.de/07_eisenbahnunglueck_1945.htmlabrufen kann. Das Unglück vom 10. Oktober 1945 fand keine Pressebeachtung, die meisten Zeitungen in Brandenburg oder Berlin kamen erst kurz später heraus. Ich habe die im Artikel erwähnten Tatsachen erst, auch auf Bitte meines Groß-Cousins Hans Dorn, erst sehr mühsam recherchieren können. Dieser Tod seines zweiten Geschwisterteil muss ihn sehr getroffen haben, obwohl er zumindest in meiner Gegenwart, auch bei Ausflügen nach Nauen (bei denen wir an der Unglücksstelle ja vorbei fuhren), nie darüber sprach. Sein o.a. alter Freund teilte ihm die grauenhafte Nachricht mit einem Schreiben und der Todesanzeige vom 24.1045 mit. Vater wurde zum Vormund von Hans Dorn, Arthur Feist zum Vormund von Eva. Peter erhielt einen anderen Vormund, der ihn sehr streng behandelte.
Schließen wir die Kriegszeit ab, sie ist für Nachgeborene kaum oder gar nicht vorstellbar. Mein Vater ist schon schnell im Spätherbst 1945 nach Berlin gekommen und ist dort erst einmal bei den Pflegeeltern seiner Frau, Oma und Opa Reinhardt am Stuttgarter Platz 21 in Berlin untergeschlüpft. Deren Haus war nicht zerbombt worden. Etwa in dieser Zeit hat er sich auch Typhus angesteckt und schwer gelitten. Hat er unsere alte Wohnung, "Schloss Ruhwald" wieder besucht? Im Haus dort waren Bomben eingeschlagen und sehr viel von unserem vielleicht noch brauchbaren Eigentum gestohlen worden. Noch einmal kam er kurz, auf welchem Weg auch immer, seine Familie im Oktober 1945 in Bad Segeberg Hamburger Str. bei Voigt, zu besuchen, dann wieder zurück nach Berlin um schnellstmögl. seine alte Stelle beim Gesundheitsamt Charlottenburg wieder einzunehmen. Und auch eine brauchbare Wohnung für uns zu finden, Berlin lag fast völlig in Trümmern. Er schreibt in diesen Tagen an einen Freund: "noch vor kurzem war ich im Kieg und dann in Gefangenschaft ohne vom Verbleib und Schicksal meiner Familie zu wissen. Und nun habe ich Arbeit, Wohnung und meine Familie vollzählig wieder!" Am 27.11.45 wurde er wieder zum Leitenden Fürsorger, durch Krieg und Gefangenschaft ziemlich abgemagert, aber voller Tatendrang.
Auf der Rückseite dieses Dokuments wird er beauftragt, Ermittlungen zu Geschlechtskrankheiten in Gaststätten und Strassen anzustellen, die Polizei wrd aufgefordert, ihm Schutz und Hilfe zu gewähren.Auch eine Bleibe machte er für uns ausfindig, schon Anfang 1946 nahm er eine Wohnung in Berlin Neu-Westend in Beschlag, Vitamin B, und konnte nun auch endlich die Familie nachkommen lassen. Es war eine große Wohnung, 4 Zimmer, Balkon, Bad Küche - aber in scheußlichen Zustand. Der Parkettboden war herausgerissen (und wohl zu Brennholz umfunktioniert worden), die Fensterscheiben waren (durch Bombendruck?) herausgesprungen. Es war lausig kalt und er brachte aus seinem Gesundheitsamt diverse alte Röntenaufnahmen mit, die man irgendwie an den Fenstern befestigte. So wurde es dunkler aber war nicht mehr ganz so eisig. Holz war sehr knapp und der "Hungerwinter 1946/47" war einer der kältesten in Deutschland seit Jahrzehnten. Hunderttausende in Deutschland kamen durch die katastrophale Ernährungslage um.Verpflegung war äußerst knapp und wurde auf Lebensmittelkarten streng rationiert ausgegeben. Viele in Berlin gingen auf "Hamstertouren", d.h. man fuhr in überfüllten Zügen aufs Land um bei den Bauern dort irgendetwas zu ergattern, meist durch Tauschgeschäfte.
Hamstertour 1946
Ungefährlich waren diese Fahrten in überfüllten Zügen nicht, meine Brüder erinnern sich mit wohligem Schauer noch viel später daran.Schnell etablierte sich in Berlin ein Schwarzmarkt, die Währung war größtenteils Tabak. Durch die Strassen patroullierten Soldaten der vier Besatzungsmächte, USA, Grossbrittanien, Frankreich und der Sowjetunion. Die vier ältesten Kinder bekamen Schulplätze in der renommierten "Waldschule" und mußten Holz zum Heizen der Baracken dort mitbringen. Unsere Adresse war sehr eindrucksvoll: Westendallee 124/Preussenallee 11, also ein schönes Eckgebäude, parterre. Gegenüber ein großes Krankenhaus, das später (wieder ?) zur Schule wurde. Lebensmittel gab es wie gesagt auf Lebensmittelkarten, die man beim Einkauf vorzuzeigen hatte und von denen dann einzelne Abschnitte abgetrennt wurden. Sie waren mehr wert als bares Geld, denn die noch gültige Reichsmark nutzte nur wenig. In der Preussenallee gab es bald einen Wochenmarkt auf dem auch Bauern der Umgebung ihre Produkte anboten - Geschäfte gab es erst später, ich erinnere mich an einen Bäcker in der Nähe und eine Riesenfigur, die wir den "nackten Mann" nannten, die 1936 zu Ehren der Olympiade aufgestellt wurde.
Nun konzentrierte sich sein Denken und Streben auf berufliches Fortkommen und er überließ die Familie weitgehend meiner Mutter. Die wiederum nahm an seinem Beruf wenig Anteil und hatte auch mit Haushalt und Kindern genug zu tun. 7 Personen, mit Oma, Kochen, Waschen (noch in großen Kochzubern/Töpfen), Mangeln (d.h. große Wäschestücke durch riesige Rollen drehe - Heiner mußte dabei tatkräftig mithelfen), Einkaufen, Bügeln, Nähen und Stopfen (Strümpfe, Socken und viele übrige Textilien wurden ausgebessert), usw. Man driftete auseinander. Er schuf sich schnell durch seine zielstrebige, auf Menschen zu- und eingehende Art viele neue Verbindungen, Beziehungen- heute würde man sagen, er baute sich ein Netzwerk auf und dies funktionierte immer besser, er kannte bald "Hinz und Kunz" und hat dies bis nach seiner Pensionierung beibehalten. Man muss dabei sehen, dass ganz Berlin im Aufbau war, saufroh, dass der Krieg vorbei war, dass Frieden herrschte. Er sorgte auch für die Verschickung seiner Kinder in Erholungsheime oder zu wohlgesonnenen Familien, als erstes durfte mit vielen anderer ich 6 Wochen, eingeladen von Schweizer Familien, nach Winterthur reisen. Und auch später in andere Gegenden, ich war unterernährt und Bettnässer aber auch frech wie Oskar!. Der Aufenthalt dort bewirkte, dass ich nur noch Schwyzerdütsch sprechen konnte und meinem Vater, der mich vom Bahnhof Zoo abholte, vom Abteilfenster fragte: "Hascht Hunger?" und ihm von meiner Essensration anbot. Die von der Schweizer Familie Wespi reichlich mitgegebenen Lebensmittel, vor allem Schokolade, brachten uns allen riesige Freude.
In dieser Zeit erhielten wir auch "Care Pakete" (insgesamt wurden über 100 Millionen von USA und England nach Deutschland gesandt!) dabei war auch der englische Chester-Käse der nicht bei allen Anklang fand und doch genüßlich verzehrt wurde. Überhaupt verhielten sich die westlichen Sieger sehr hilfsbereit, erstaunlich so kurz nach einem Krieg der auch auf ihrer Seite überaus viele Menschenleben kostete. Und sehr gegensätzlich zum Verhalten nach dem ersten Weltkrieg. Mitte Juni 48 wurde die D-Mark eingeführt und löste die Reichsmark ab. Die UdSSR proestierten heftig und am 14.6.1948 (bis zum 12. Mai 1949) sperrten die Sowjets alle Zugänge nach Westberlin und eine in der Geschichte einzigartige Versorgung einer Grosstadt wurde in Gang gesetzt, Tag und Nacht brummten die riesigen Maschinen über unsere Köpfe, die Luftbrücke brachte alles Notwendige für ca. 2 Millionen Einwohner nach Berlin, Kartoffeln, Kohlen u.v.a.m. Der kalte Krieg hatte begonnen. Ernst Reuter, der regierende Bürgermeister in Berlin, rief in einer inzwischen historischen Rede am Reichstag (direkt an der Sektorengernze) vor 300.000 Berliner, daunter auch mein Vater und ich, die Völker der Welt auf, auf Berlin zu schauen.
1948 fahren seine drei ältesten Söhne zu den befreundeten Breddins, nach Cramme in Niedersachsen, kurz hinter der Zonengrenze, die die drei auf abenteurliche Weise zu Fuß überqueren. Sie haben die wesentlich bessere Versorgung dort sehr genossen, sie bekamen dort die notwendige Lebensmittelkarten. Man spielt mit Begeisterung Monopoly, das dann später auch bei uns in Berlin zum Familienleben gehörte.
Iin dieser Zeit, eventuell auch früher, zog "Oma" aus Nauen zu uns und wohnte in einem Zimmer mit meiner Schwester (wir vierl Söhne schliefen in einem Zimmer, auf "Übereinanderbetten" die unser Vater irgendwo, wahrscheinlich aus Wehrmachtsbeständen, aufgetrieben hatte.) Oma und Hanna haber sich gut verstanden, auf Omas Behinderten-Fahrstuhl bin ich oft und begeistert mit gefahren. Nun waren wir 7 Personen, die Wohnung war geräumig (wurde aber schnell auch viel teurer), es gab zwei ineinander über gehende Wohnzimmer, die von einer Schiebetür getrennt. Diese Tür wurde Weihnachten für uns geöffnet und wir bestaunten den Weihnachtsbaum, den unsere Eltern geschmückt hatte, und schielten die darunter befindlichen Geschenke und die 7 vorbereiteten "bunten Teller" mit allerlei Köstlichkeiten. Die Weihnachten hat unser Vater immer glänzend organisiert und es gab auch Festliches zu essen, am Heiligabend Würstchen und Kartoffelsalat, am 25.12. dann einen Festtagsbraten Meine Großmutter starb, nach einige Krankenhausaufenthalten, mit 79 an Atemlähmung und wurde in Charlottenburg beerdigt.
Ab etwa 1948 hatte er eine Beziehung mit Ruth Annaliese Schramm, 23 Jahre jünger, die als Sekretärin mit ihm im Gesundheitsamt arbeitete, ihn bis zu seinem Ende bewunderte und die er nach meiner Mutter Tod heiratete. Einmal gab es eine Begegnung der beiden Frauen, 1949, die ich am Rande miterlebte. Er hielt zu ihr, trotz vieler Bedenken (vorsichtig ausgedrückt) seiner Freunde und Verwandten von beiden Seiten. Eine Scheidung scheiterte wohl an der nicht vorhandenen Bereitschaft dazu, von beiden Teilen. Er sah sie mindestens einmal die Woche und besuchte sie auch bevor beide "zum Dienst" fuhren.
ca 1978
Er bin sicher, dass sie seinen starken erotischen Drang besser befriedigte als meine Mutter, ihr auch was Äußeres betraf, überlegen war. Mit ihr fuhr er auch jährlich in einen gemeinsamen Urlaub, unabhängig vom Familienurlaub. Im CVJM trat er nicht mehr als Redner oder Aktiver auf, wohl auf Betreiben seiner Freunde. Mein Bruder Heiner wurde ihm zuwider, weil er sich einmal bei den Pflegeltern meiner Mutter, den vielgeliebten Oma und Opa Reinhardt, die auch er respektierte, sich verriet; mein Vater hatte ihm angeboten, Englsich-Nachhilfeunterricht bei der besagten Ruth Schramm zu erhalten und er hatte dies weitergegeben. Ihm grollte mein Vater noch Jahre lang. Sicher litt er, mein Vater, auch unter dem Zwiespalt den Religion und tatsächliches Leben aufwarf, er hatte Alpträume die sich regelmäßig in lautem Schreien äußerten. Näheres zum Verhalten meiner Mutter in meiner kleinen Biographie ihres Lebens, das ich bald auf meiner Seite hier darstellen werde. Die Reinhardts und auch die Schwestern meiner Mutter gingen auf Distanz und haben wohl auch oft mit ihm gehadert. Einmal eskalierte es, als wir alle gemeinsam bei der Hochzeit meines Bruders Gottfried mit Ursel Brocks 1962 in Schweicheln bei Herford beisammen waren und in einem Gasthof nächtigten. Es war dies am Geburtstag meiner sehr resoluten und streitbaren Tante Hanna Knüppel, die am Abend mit ihm aneinandergeriert und sich am darauf folgenden Morgen strikt weigerte, von ihm Geburtstags glückwünsche anzunehmen. Meine Mutter versuchte zu vermitteln worauf meine Tante ausrief "Ich bin doch mit Deinem Ollen nicht verheiratet!" und er sie anschrie "Sei bloß froh, sonst hättest Du nämlich jeden Tag Dresche bezogen!" Meine Tante, durch ihren Beruf als Masseuse kräftig gebaut und ihm total ebenbürtig in ihrem Zorn, schrie auf und wollte auf ihn los, wir Kinder warfen uns dazwischen, ich rief theatralisch "Vati, denk an Jesus!", meine Schwester kommentierte "In diesem Haus gibt es viel Sünde!" - den auch anwesenden anderen Hotelgästen bot sich also eine unerwartete Vorstellung Berliner Familienkultur- und idylle. Zu einer anderen Szene bei dem sich besonders Vaters Jähzorn zeigte kam es als ich in den Konfirmationsunterricht zu gehen hatte, also mit etwa 13 Jahren, was bedingte, alle zwei Wochen sonntags zur Kirche zu gehen. An einem "freien" Sonntagmorgen wurde ich von ihm aus dem Bett gerissen, auf meine Vorhaltung, es sei doch diesen Sonntag gar keine Pflicht, zerrte er an mir und wurde dann von meinem Bruder Heiner unterbrochen, die rief: "Es ist ja wohl nicht christlich, sein Kind zur Kirche zu prügeln!" Hierauf wollte "Vati" auf Heiner los, der sich schnell zurückzog und aus der Küche sich mit einem langem Küchenmesser ihm entgegentrat. Es geschah nichts weiter, mein Vater zog sich wutschnaubend zurück und sprach eine Weile mit niemanden. Eine weitere Szene kam später vor, als ich, wohl schon 18 Jahre alt einen eigenen Raum im Keller bezog und eines Tages nach 22:00 von einer Party zurückkehrte. Ich schloß die Kellertür, massiv aus Eisen wegen der Feuergefahr, hinter mir und drehte den Schlüssel herum, in Ahnungen das etwas passieren könnte. Vater warf sich gegen die Tür wie ein Wilder, nannte mich wiederholt einen Lump und schrie, ich sollte öffnen. Dies kam mir überhaupt nicht in den Sinn, wieder erschien Bruder Heiner und machte ihm Vorhaltungen, es sei ja nun nicht so spät und ausserdem wüßte man genau, mit wem ich aus war (der Schwester eines Schulfreundes). Die Antipathie zwischen Heiner und eunserem Vater zeigte sich auch in sehr konzentrierten Partien Schach, die meist von meinem Vater, auch wohl weil er wesentlich geübter im Spiel war, gewonnen wurden. Wenn ich an den beiden vorüberging, spürte ich ein wie elektisches Knistern in der Luft, daran erinnere ich mich noch heute.
Frühjahr 1950 nimmt er an einer Art Preisausschreiben der englischen Besatzungsmacht teil, gewinnt und fährt für mehrere Wochen nach Wilton Park, nahe London. Dort hatten die Sieger gleich nach dem Krieg eine Art Umerziehungslager eingerichtet, das 1948 in eine Begegnungsstätte umgewandelt wurde, wobei die "education" in Richtung Demokratie aber immer noch eine starke Rolle spielte. Eine Überfahrt von Hoek van Holland brachte ihn fast in Seenot, zumindest aber litt er sehr an unangenehmer Seekrankheit. Zu Beginn ist er sehr angetan von dem Lehrgang und schreibt über sein Leben dort; viele Voträge, wenig Freizeit (die er auch mangels finanzieller Mittel) wenig nutzen konnte. Er schreibt einen langen Brief auf einer englischen Schreibmachine (andere Tastatur) an seinen Ältesten, der auch antwortet, sich aber über die vielen Schreibfehler mokiert und auch um viele englisiche Bücher bittet, die er fürs Studium brauchen würde, 1949 hatte er ja auf der Waldschule ein glänzendes Abitur absolviert. Sein überheblicher Schreibstil hat meinen Vater verärgert, er schreibt an seine Frau am 7.3.1950: "Für Frieders Brief schönen Dank. Er kann so nette Briefe schreiben, sie sind viel lebendiger wie Fritzens lehrhafte Epistel!" Er existieren auch Briefe von mir an ihn und von ihm an Hanna - der Kontakt zur Heimat war also gut
1951 musste er für 45 Tage ins Krankenhaus wegen einer komplzierten Leistenbruch-Operation, wo er sich diesen Bruch zugezogen hat weiß ich nicht, jedenfalls mußte er seidem ein unförmiges Bruchband um den Bauch tragen.
Die politische Entwicklung in Berlin ging rasend schnell voran, im sowjetisch besetzten Sektor (der DDR) und in West-Berlin und Kurt Schönknecht wuchs begeistert in seinen Beruf hinein. Er war ja schon seit 1928 überzeugter Gewerkschafter und machte nun auch in der ÖTV (Gewerkschaft öffentlicher Dienste - später Ver-di) Karriere. Er war Beisitzer im Arbeitsgericht, Sozialrichter und Vorsitzender des Betriebsrates/Personalrates im LGA, wobei er häufiger mit die übergeordneten Kollegen aneinandergeriet. 1952 besucht er einen langen Lehrgang der ÖTV der gerade neu errichteten Michal-Rott-Schule im schönen Mosbach/Baden. Auch hierden seine Beziehungen geholfen haben.
Er unterhielt gute Beziehung mit der Verwandschaft, meist aber zu der seiner Eltern. Ich erinnere mich an Besuche bei Familie Siggelkow und bei seiner Kusine, Grete Erley, in Ostberlin, Adlershof. Ich mochte sie und habe sie auch allein oft besucht - sie kam auch gern zu uns und brachte meine Mutter zur Verzweiflung, sie war eine gute Kostverwerterin und auch wir in Westberlin hatten ja noch nicht sehr viel. Am 17. Juni 1953 kam sie zu uns und mußte länger bleiben, weil der Volksaufstand in der DDR losbrach. Bis zur Wiedervereinigung war der 17.Juni Nationalfeiertag. Über eine Million Menschen in Berlin und im ganzen Land protestierten, demonstrierten gegen die brutale Niederschlagung des friedlcihen Aufstandes durch russische Panzer. Weit über 50 Menschen kamen ums Leben, 15.000 werden festgenommen, ca 1.600 verurteilt.
Familie ca. 1954
Anfang der 50er Jahre zogen wir aus der großen Wohnung Preussenalle Ecke Westendallee um in eine preiswertige Bleibe, Westendalle 88 und in diesem Hause etwas später noch einmal vom ersten Stock ins Parterre. Dieser Ort war nicht weit vom Olympiastadien und der Bahnstrecke Berlin-Hamburg. Bei allen grossen Sportveranstaltungen konnten wir am Jubel oder Auftöhnen die Partien verfolgen. Auf der anderen Strassenseite befand sich ein kleiner Park, am Brixplatz, im Jahre 1909 wunderschön angelegt mit künstlichen Teichen, Schul- und Kindergarten, künstlichen Felsformationen. Bis in die mittleren 30 er Jahre lebte hier eine Art Künstlerkolonie, u.a. mit Max Schmeling und Anny Ondra, Paul Hindemith, Veit Harlan, Henny Porten, Willi Forst und, von allen verehrt, Joachim Ringelnatz, der üebr den Platz auch ein schnurriges Gedicht geschrieben hat. Man traf sich, noch bis in die späten 50er Jahre in der Westend-Klause, die ich gut in Erinnerung habe und die wohl noch heute existiert. Diese Ecke Berlins wurde wenig bombardiert und es wurde erzählt, dies sei geschehen, weil sich dort ein britischer Spion aufgehalten hat. Um diese Zeit hatten wir einen lieben, schon etwas älteren Kater, der aber plötzlich verschwand (obwohl er nur ein Wohnungskater war), als mein Vater einen äußerst lebhaften jungen Hund mitbrachte, ein reinrassiger Welshterrier namens Berry von Strachwitz o.ä. Das Tier schaffte es, über die sehr kleine Person unserer Reinemacherdame und Hausschneiderin (Maria Sterzeck) vor Freude hinwegzuspringen! Den Kaer haben wir noch wochenlang, auch mit Hinweisen an Laternenpfählen und Bäumen, versucht wiederzuholen, vergeblich. Der junge Hund verschwand irgendwann, ich weiß nicht wie und warum.
1957 fand in Berlin die Interbau statt, international bedeutsame Bauausstellung mit Bauten verschiedener Architekten, die auch heute noch bestehen, z.B. Mies von der Rohe, Le Corbusier u.a. Im Rahmen dieser Ausstellung wurde auch ein Projekt in Berlin-Mariendorf errichtet, das das Gemeinschaftgefühl der Bewohner von Bungalows, mehrstöckigen Häusern und einem Hochhaus fördern sollte. Meinem Vater gelang es, irgendwie (!) einen der Bungalows zur Miete zugeteilt zu bekommen. Sie waren in einer Gruppe von ca. 40 Häusern in der Mitte dieser weitläufigen Anlage und nach modernen Gesichtspunkten konzipiert. 4 Zimmer, Küche, Bad und ein großer Keller mit einem Extraraum und der Etagen-Kohleheizung. Koks hierfür wurde angeliefert und durch ein ebenerdiges Fenster in den Keller geschüttet, was das Herauftragen von Kohle durch Kohlenträger oder uns selbst überflüssig machte . Im Bad gab es einen Durchlauferhitzer der das Heizen eines großen Badeofens (wie in den vorherigen Wohnungen, das Wasser darin reichte natürlich nicht für alle Personen) überflüssig machte. Vom Hauptraum abgetrennt lag eine Essnische, mit einer "Durchreiche" zur Küche. In dieser Nische, an einem riesigen (er konnte viermal ausgezogen werden und bot dann Platz für mindestens 12 Personen - er steht jetzt bei meiner Nichte, Sabine Schönknecht in Dresden) massiven Tisch, auch ihn hatte mein Vater irgendwoher organisiert. Vom großen Wohnraum führte eine Tür in den kleinen Garten, welcher die große Freude meines Vaters war. Es gab dort eine Rasenfläche, einen künstl. Berg mit entsprechenden Pflanzen, Hecken und einen riesigen Stein (vom Vater organisiert, einen Findling aus der Mark Brandenburg, der sehr umständlich antransportiert werden musste. Zur Vorderseite schloß sich eine hohe mehrfarbige Mauer an, die mit schrägen Öffnungen versehen war um Einblicke unmöglich zu machen. Zur anderen Seite hatte man eine hohe Hecke gepflanzt und an den anderen beiden Seiten schloßen sich das Nachbarhaus bzw. unsere Terrasse zum Wohnraum an. Die vom Architekten geplante private Abgeschiedenheit war allerdings nicht immer vollständig denn vom nahe gelegenen Hochhaus schauten Leute mit Ferngläsern herab, besonder wenn meine bildhübsche Schwester sich im Badeanzug auf dem Rasen aalte. Dem wirkten meine Brüder entgegen indem sie an mehreren Tagen hintereinander starke Spiegel auf die Gläser der Betrachter richteten, was recht unangenehm gewesen sein mußte, denn man hörte sie aufschreien. Neben den erwähnten Räumen gab es zwei kleinere Schlafzimmer, eines für uns 4 Jungs, mit Hochbetten (Übernanderbetten genannt), das andere für meine Schwester und ein größeres Schlafzimmer für die Eltern, diese 3 Räume wurden durch einen langen Gang verbunden, der mit überaus praktische Einbauschränken ausgestattet war. Die Belegung der Zimmer hat sich allerdings bald mehrfach verändert, als einige Kinder auszogen, bzw meine Mutter auf getrennten Schlafzimmer bestand.
Es war ein "offenes" Haus und wir empfingen eine Menge Besuch dort, Freunde und Verwandte. Wir haben dort viele Gesellschaftsspiele ausgetragen, schlesische Lotterie, Poch, Rommé, Canasta u.a. Der Riesentisch bot viel Platz, auch darunter und ich erinnere mich, dass ich mit meinem Vetter Peter Knüppel unter dem Tisch, mehr oder weniger heimlich, herumkrabbelten und uns köstlich amüsierten. An diesen Spielen nahm mein Vater anfangs auch teil, später weniger, weil er oft spät nach Hause kam, von woher auch immer (!), er hatte für Familie und Freundin ein Wochenplan eingerichtet an den er sich strikt hielt. Wenn er dann abends zu uns (die wir vielleicht gerade um den Tisch beim Spielen waren, kam muss er sich irgendwie als Eindringling gefühlt haben, denn oftmals verlangte er dann abrupt meine Schultasche zu sehen und dies oder das sehr agressiv zu beanstanden, besonders meine Schrift oder Stellen in denen meine Mutter irgendeine, meist nicht allzu gute, Zensur mit ihr Unterschrift quittiert hatte. Ich habe sein spätes Kommen immer als unangenehm gefühlt obwohl ich zu keiner Zeit eine Art Hass spürte - er gehörte für mich (und vielleicht auch für die Geschwister) einfach nicht dazu!
Mein Bruder Fritz hatte in den Jahren 1955-1956 Prüfungen in seinem Medizinstudium das er dann mit einer Doktorarbeit und dem Prädikat "summa cum laude" abschloß. Bruder Heiner machte sein Abitur und begann ein Studium zum Lehrer an der Pädagogischen Hochschule (PH) in Berlin. Bruder Gottfried bekam eine Lehre als Feinmechaniker bei Siemens die er später abschloß sp#äter dann eine lange Ausbildung zum Diakon in Hamburg, meine Schwester wurde für eine Krankenschwester-Ausbildung vorgesehen, davor war sie "Haustochter" bei einer Familie in Schwanenwerder (Insel im große Wannsee), später war sie im Diakoniekrankenhaus und passierte dort ihr Examen als Diakoniewester. 1959 wurde unser Vater vom Amtsrat zum Regierungsrat ernannt, eine große Anerkennung, denn er hatte ja nur die Mittelschule absolviert und war also im Amt ein sog. "Aufstiegler" da er nicht den eigentlich notwendigen Abitur- bzw Universitätsabschluß vorweisen konnte. Diese "Aufstiegler" wurden von den "regulären" Beamten der höheren Laufbahn sehr scheel angesehen, besonders wenn sie, wie mein Vater, aktive Gewerkschaftler waren. Er hat sich hierzu auch, höflich aber direkt, an den Senator gewandt.
Im August 1961 wurde durch Berlin von der DDR-Armee eine Mauer gebaut, die wir alle mit Schrecken zur Kenntnis nehmen mußten, ich persönlich war bei den ersten Arbeiten im August an verschiedenen Stellen anwesend. Näheres hierzu in meinem persönlichen Lebenslauf, später hier auf meiner Internetseite. 1962 wurde ich in die 13.Klasse der Eckernerschule (Gymnasium in Berlin-Tempelhof) versetzt, auf Anraten und leichtes Drängen meines Vaters brach ich mit der sog. Oberprimareise die Schule ab und begann eine Ausbildung zum Bundesbahninspektor in Wuppertal, diese Ausbildung und generell der Beamtenberuf waren mir ein Gräuel und ich mußte/wollte sie 1964 abbrechen. Meine Vater ließ seine Beziehungen wieder einmal spielen, reiste persönlich nach Wuppertal um eine "ehrenhafte" Entlassung zu erreichen und besorgte mir eine verkürzte Ausbildung zum Reisebürokaufmann in Berlin. Nach einem Jahr in etwa zogen meine Mutter, mein Bruder Heiner und ich aus dem Bungalow in eine Wohnung Tempelhofer Damm, als Untermieter einer sehr alten Dame.
Mein Vater "organisierte" sich und der Dame Schramm eine kleine Wohnung im selben Gebäudekomplex (siehe oben) in einem nicht allzu hohen Hochhaus (ich glaube, es waren 8 Stockwerke) und ging am 31.Mai 1964 in den wohlverdienten Ruhestand. Mein ätester Bruder wanderte 1963 nach den USA aus und heiratete dort Holly van Doren. Später folgte ihm meine Schwester Hanna nach und zwar nach New Jersey, Ostküste USA. Mein Bruder Gottfried heiratete 1963 Ursula Frieda Erna Brocks in Schweicheln bei Herford/Nordrhein-Westfalen. dort kam dann auch Vaters (und Mutters !) erster Enkel, Axel Thomas Schönknecht zur Welt. Mein Bruder Heiner heiratete 1967 seine langjährige Freundin Marianne Schulz-Koffka und ich verabschiedete mich abrupt Ende 1987 und zog in die Welt.
Einige, eher konservative CVJM Mitglieder gründeten 1972 den CVJM-Charlottenburg neu, Kurt Schönknecht war von Beginn dabei, wohl auch weil er sich im "Haupt-"CVJM nicht mehr recht wohl fühlte. Er war, meines Wissens, einmal mit meiner Mutter in den USA und besuchte dort meine Schwester und meinen Bruder Fritz nebst Familie. Er achtete dabei darauf, dass ihn Post über Postlager-Adressen erreichte. Er sprach auch mit anderen Familienmitgliedern auf Tonbandkassetten, sogar auch in Englisch, für die Amerikaner. Diese und andere Kassetten, die damals recht beliebt waren zum schnellen Austausch von Grüßen und Nachrichten, befanden sich in meinem Besitz und gingen kürzlich leider bei der Post verloren. 1970 traf ich, von Israel zurückkommend, wieder in Berlin ein und mußte, leider völlig betrunken, vor Gericht, er war als Zuschauer anwesend und schrieb mir hinterher einen sehr bösen Brief, zu einem Gespräch kam es auch damals nicht.
Ca. 1975, mit Enkelinnen Sabine und Andrea Schönknecht
Am 12.10.1978 starb in Hannover meine Mutter, die bis zum Schluß an ihm gehangen und immer auf eine Versöhnung gehofft hatte. Sie wurde in Berlin-Mariendorf, Friedhof Mariendorf Ost) beigesetzt, viele Freunde und Verwandte kamen, auch er war anwesend und kümmerte sich um die ausliegende Kondolenzliste. Die Trauerrede hielt ein guter Freund meines Bruders Heiner, Pfarrer Butenuth, der fein aber deutlich auch die Kümmernisse erwähnte, die sie durch ihren Mann erlitten hatte. Bei einer anschließenden Trauerfeier im kleinen Kreis saßen seine Kinder und er bei Breddins (dem Haus der alten Freunde Lydia und Gerhard) zusammen. Recht kurz danach, am 25.7.1979 heiratete er, ich glaube nur standeamtlich, Ruth Annaliese Schramm, sie lebten weiterhin in Mariendorf. Zu seinem 80. Geburtstag 1980 war er zwar etwas gebrechlich aber wohlauf und empfing in heiterer Laune zahlreiche Besucher bei einer Feier im Restaurant. Im selben Jahr sah ich ihn zum letztenmal als er auf einer Kur in Bad Nenndorf war und wir hatten ein längeres, gutes Gespräch, das allererste dieser Art an das ich mich erinnere. Er war ruhig und gelassen und wünschte mir viel Glück für mein weiteres Leben, ohne, genau wie ich, in Abschiedsstimmung zu sein. Am 12.1.1979 starb er in Mariendorf, sein Tod wurde mündlich dem Standesamt Berlin-Tempelhof von einem Herrn Werner Hoffleit (Kraftfahrer mit Adresse ebenfalls in Mariendorf) mitgeteilt, so steht es in der Todesurkunde. Beigesetzt wurde er neben meiner Mutter auf dem Friedhof Rixdorfer Str. in Berlin-Mariendorf, die Kosten beliefen sich auf 6800,- DM, eine dementsprechende Rechnung der Firma Hahn wurde zu "Beihilfezwecken" verwendet und dem Verwaltungsamt Berlin weitergereicht. Hinterlassen hat er Kindern und Enkel jeweils eine kleinere, vierstellige, Geldsumme. Seine zweite Frau schickte mir später nach London einige seiner Möbel, die ich leider durch meine immer intensivere Alkoholkrankheit verloren geben mußte. Die Ruhezeit für die "Grabstelle Schönknecht" (Nutzung 250,- DM pro Jahr) lief 2001 aus und seine Frau, als einzige Verfügungsberechtigte, verzichtete ausdrücklich auf eine Verlängerung. Beide Gräber wurden also eingeebnet, es existiert aber noch, direkt gegenüber der Grabstelle, ein Grab und Grabstein der Hanna Knüppel, der Schwester meiner Mutter, gepflegt von deren Sohn und Schwiegertochte. Ich habe es einigemale besucht und natürlich auch angesichts der freien Grabstelle meiner Eltern an diese gedacht.
Ruth Schramm Schönknecht lebte weiter in der gemeinsamen Wohnung und starb dort, nach langer schwerer Krankheit am 19.4.2014. Sie wurde nicht in Mariendorf, sondern in Berlin Reinickendorf beerdigt.
Die letzte Zeit seiner Biographie habe ich kurz gehalten und werde sie später noch ergänzen. Jetzt nach vielen Jahren (und nachdem ich diese lange Lebensgeschichte aufgeschrieben habe) ist meine Erinnerung, mein Denken an ihn, nicht mehr total negativ. Ich kann mir vieles erklären aber auch vieles nicht. Die Zeit heilt Wunden und mein Leben verlief, nach meiner Trockenheit 1985, im Nachhinein gesehen angenehm, ich bin zufrieden. Salopp gesagt: Mein Vater wollte eigentlich ein guter Christ und Mensch sein, nur hat er es nicht ganz geschafft.
Ende der vorläufigen Fassung 1.2.2018