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Leben meiner Mutter,"Mutti" or "Omi", Ruth Esther Schönknecht, 1909 -
Viele Gedanken an diese grossartige aber immer bescheidene Frau, meine Gedanken und die anderer, bleiben uns, jedoch sind mir nur wenige Dokumente ihres Lebens erhalten. Es gibt allerdings Photos, von denen ich einige hier vorstellen werde. So kann dies nur eine vorläufige Fassung sein, der weitere folgen, auch mit mehr Bildern und Dokumenten. Weiter muss zur gegenwärtigen Fassung (Nov. 2018) gesagt werden, dass sie noch sehr fehlerhaft und unvollständig ist.
Ihr Vater war Franz Wilhelm Karnatz (1881 -
Franz Wilhelm Christoph Karnatz (leider das einzige Foto) Minna Franziska Helene Schleusener
Ihr frühester von mir erfasster Vorfahre (NN Karnatz)war ein (um 1585 in der Gegend Parchim, früher Grossherzogtum Mecklenburg-
Erwähnenswert aber nicht unbedingt glaubwürdig ist die Erklärung der Namensforscher: Wendisch, Karnatz: (Kårnac Mann mit gestutzten, beschnittenen Ohren von asl. (altslawisch) kr?n? = auribus mutilatus]. Die ersten Leute mit beschnittenen Ohren, nach denselben Forschern, sind in Pölitz (Landbede Güstrow R.) 1567 Karnne. 2 x 1568 Karnatze. 2 x 1570 Karnne; Zarchlin b. Plau (Amtsbuch Doberan) 1552; Gr.=Sprenz (Landbede Güstrow) 155?. (R.) 1568; Dobbertin 2 x (Landbede Dobbertin) 1554!. (R.) 1567. Hagen (Schloßreg. Goldberg) 1483.
Genug der vielleicht etwas langweiligen Genealogie. Die Vorfahren meines Grossvaters sind also alle aus der Gegend Güstrow, Gültz und Demmin -
Johann August Theodor wurde
Elfriede Auguste Karnatz (1873 -
Anna Wilhelmine Johanna Karoline Karnatz
Alwine Martha Albertine Luise Karnatz (1878 -
Eleonore Karnatz (1879 -
Franz Wilhelm Christoph Karnatz (1881 -
Hermann Karnatz
Fast alle diese Geschwister spielten später im Leben meiner Mutter eine Rolle. Franz Wilhelm Christoph Karnatz, unser Grossvater. lernte wohl in Stralsund noch das Malerhandwerk, er war also "Stubenmaler" wie man damals sagte, aber auch ein äußerst begabter Landschafts-
Mein Grossvater verbringt einige Monate bei Malermeister Meyer in Delmenhorst
Irgendwie ist er dann in Berlin gelandet und traf dort sein spätere Frau, wahrscheinlich beim Treffen einer christlichen "Gemeinschaft" (unter diesem Namen gab es damals viele verschiedene evangelische Gruppen in Deutschland) vielleicht auch bei der Heilsarmee. Unsere Großmutter war Minna Franziska Helene Schleusener, siehe oben, verwitwete Tietz. Sie hatte Von ihrem ersten Ehemann, Friedrich Paul Franz Tietz, (1853-
Standesamt Berlin 5.11907
Es ist heute schwer, nachzuvollziehen, wie ihr Leben in dieser Zeit aussah. Minnas beide Eltern kamen aus verschiedenen Orten im Kreis Friedeberg/Neumark, ihre Kinder wurden ebenfalls in verschiedenen Ort im selben Kreis geboren, Minna in Gottschimm, Kreis Friedeberg. Ein Photo zeigt sie mit Bruder Richard ca. 1900. Nach diesem Photo malte ihr 2. Mann, unser Grossvater, sein Bild von ihr, siehe oben.
Minna und ihr jünMinna und ihr jüngerer Bruder Richard Hermann Reinhold Schleusener (1869 -
Ihr erstes gemeinsames Kind, also vom ersten Mann, Cornelia Tietz, wurde 1894 in Berlin, Teltower Str. 7, geboren lebte aber nur einige Tage und starb dort, ungetauft. Später, erst 1905, kam das zweite Kind zu Welt, Elise "Lieschen" Tietz. Leider konnte ich noch nicht feststellen, wo sie geboren ist, höchstwahrscheinlich aber nicht in Berlin, weil die Kirchenbücher aus dieser Zeit bekannt sind. Uns allen war noch ein Bernhard Tietz, Onkel Bernd, bekannt der später in Berlin Studienrat wurde. Paul Franz Tietz starb, wie erwähnt schon früh etwa 1906 der Überlieferung nach in Nowawes (das spätere Babelsberg). Dort befand sich ein großes Krankenhaus der Diakonissen in dem später auch meine Tante Hanna als Krankenschwester lernt und arbeitete. Alle Tietz' waren sehr geschäftstüchtige Menschen.
Anfang 1907, siehe oben, heiratete meine Großmutter erneut, wieder, in Berlin. 6 Monate später kam schon das erste gemeiname Kind, auch in Berlin, zur Welt, meine Tante Hanna Emma Katharina Karnatz (später verh. Knüppel).
Dann muß sich die Familie aber mehr nach der Neumark orientiert haben, denn meine Mutter wurde in Guschterholländer, Kr. Friedeberg/Neumark, am 18.9.1909 geboren. Guschterholländer scheint Anfang des 20.Jahrhundert so eine Art Familienzentrum zumindest der Schleuseners, gewesen zu sein. Unser Onkel Paul Gottwald hat dort 1903 eine Tante meiner Mutter, Martha Helene Schleusener, geheiratet, Ein Bruder unserer Großmutter, Emil Schleusener ( 1862 -
Standesamtl. Geburtseintrag meiner Mutter
Ein kurzer Einblick, was hatte es denn mit diesem Guschterholländer auf sich ? Die Frage habe ich mir schon als kleiner Junge gestellt, wie konnte jemand in einem Ort mit so langem Namen geboren sein? Guscht, alter poln. Name Goszcza, der Nachbarort, mit einem Gut wurde erstmals 1338 erwähnt, Siedlungspuren stammen aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. Die Besiedelung des Netzebruches, dem Gebiet am Fluss Netze, erfolgte zögerlich, Anfang des 19. Jahrhunderts gab es nur 10 Bauern. Ein "Herrenhaus" man kann es -
Guschterholländer, heute Goszczanowiec, liegt etwa 4 km entfernt. "Holländer" war die Bezeichung für eine ursprüngl. von Niederländern "erfundene" Landwirtschaftsform. Die Kolonie wurde um 1667 vom großen Kurfürsten gegründet, jeder Siedler mußte 20 Silbermünzen für sein neues Land bezahlen und wurde, sehr wichtig, von der Leibeigenschaft befreit. Anfang des 20.Jahrhunderts, zur Zeit meiner Grosseltern also, gab es hier knapp 700 Einwohner in 135 Wohnhäusern. Friedrich Adolf Schleusener, mein Urgrossvater: ein Tischlermeister, ist 1839 im unweit entfernten Lipkeschbruch geboren, muß also um 1870 nach Guschterholländer gezogen sein, und hat dort eine Tischlerei gegründet oder übernommen. Minna Franziska Schleusener, unsere Grossmutter, hat diesen Betrieb wohl auch geführt, sie wurde 1867 zwar in Gottschimm, auch Kreis Friedeberg, geboren, lebte dann aber in Guschterholländer. Eine ihrer Schwestern, Martha Helene Schleusener (1879 -
Minna wird es aber auch schon früh nach Berlin gezogen haben, dort heiratete sie 1894 den Malergeschäft-
Ich kann nicht sagen ob er, Franz Karnatz, zum Militär WK 1 eingezogen war. Gegen Ende des Krieges herrschte in Deutschland eine fürchterliche Hungersnot, der Winter 1916/17 wurde auch als "Steckrübenwinter" (Kohlrübe, sonst nur für die Schweinemast genutzt) wegen der Hauptnahrung in jener Zeit, bezeichnet. Vielleicht waren deshalb auch weitere Familienmitglieder in Guschterholländer, weil es auf dem Lande noch eher etwas zu essen gab. Franz Karnatz (Papa) war schon eine Weile krank, welche Krankheit muss ich noch erforschen (amtl. hieß es Wassersucht), hat aber noch eine Weile weiter gemalt, er hatte in Alt-
Drei Grazien am Ostseestrand, von links: Meine Mutter, Tante Elise (Tietz), Tante Hanna, ca 1920
Im Hause waren zu der Zeit zumindest Auguste Schleusener (unsere Urgrossmutter), Martha Jannusch, geb. Karnatz, unsere Grosstante, diese beiden nahmen auch die notwendigen Standesamt Eintragungen vor.
Das bedeutete für die drei Waisen unermessliche, schlimme Schocks und Umstellungen, Hanna war 11, meine Mutter 9 Jahre alt. Sie hat, zumindest zu mir, nicht viel über dies große Unglück erzählt, heute würde man Trauma dazu sagen, Die beiden Mädels, (Elise Tietz, die Halbschwester, war wohl schon in Berlin), wurden nun auf die Verwandten verteilt. Meine Mutter landete beim Onkel Hermann (Karnatz) und dessen Frau, mit dem schönen Namen Irene Gottgetreu, diese führten im Ostseebad Ahlbeck eine Pension. Meine Mutter hatte es dort schlecht. Nicht allein die sehr autoritäre Tante Irene sondern auch die "Belästigungen" des Onkels haben sie gedemütigt. Sie wurde in Ahlbeck eingeschult, allerdings in eine viel höhere Klasse gesteckt und blieb dort natürlich sitzen. Ihr Leben änderte sich erst als sie von ihren Schwestern besucht wurde, denen sie ihr Leid klagte und die sich dann den Onkel vorknöpften. Besonders ihre Halbschwester Elise wurde sehr energisch und drohte, ihr Verlobter oder schon Ehemann Richard Schwalowsky würde kommen und sich durchsetzen. Diese Onkel und Tante verließen kurz darauf Ahlbeck, zogen ins ferne Dresden und eröffneten dort eine Art Mädchenpensionat. Wer weiß, was da Dunkles hintersteckte. Kurz darauf kam Esther zu anderen Verwandten, den Jannuschs in Berlin-Paula und Charlotte Jannusch & meine Mutter,links, etwa 1923
Ich weiß noch nicht, wie dann das kinderlose Ehepaar Richard Ernst Fürchtegott Reinhardt (1871- Omi & Opa Reinhardt, ca. 1949. Sie gehörten ebenfalls zu einer christlichen Gemeinschaft in Berlin über die dann auch meine Mutter ihren Mann, Kurt Bruno Walter Schönknecht (1900 -
Die Heirat erfolgte am 17.5.1930, das Paar wohnte noch mit Kurts Eltern und jüngerer Schwester Lotte Schönknecht in der Eosanderstr. 4, 1.Stock. Am 15.5., also nur zwei Tage zuvor, hatte diese Schwägerin, die ihr sehr ähnlich sah, Lotte Schönknecht, einen CVJM-
Hier ein Photo, mit Vergrößerung, von einem der beliebten Dampferausflüge des CVJM, ca 1930. Ehepaare Schönknecht und Dorn und unsere Oma. Diese Ausflüge wurden auch nach 1945 fortgesetzt, dann mit "Kind und Kegel" ich erinnere mich sehr gut daran.
Der alljährlich Dampferausflug des CVJM (mit Vergrößerung Paare Schönknecht, Dorn und die Mutter Schönknecht)
Ehepaar Hans und Charlotte (Lotte) Dorn, geb. Schönknecht) Die Aufnahmen sind von etwa 1929.
Lotte und Hans Dorn
Brautpaar 1930 vor dem Standesamt und die Hochzeitstafel (wohl im CVJM Charlottenburg). Etwas schwer zu erkennen: Vorn, auf der Bank Ehepaar Dorn, rechts Ehepaar Wittwer, CVJM Freunde, neben dem Brautpaar am Kopfende die Eltern Schönknecht, rechts hinten, mit Diakonissenhaube Tante Hanna. Bemerkenswert: es fehlten die Pflegeltern Reinhardt, zumindest auf dieser Aufnahme.
Der erste Sohn, Fritz Daniel, kam pünktlich etwa 9 Monate später, am 16.2.1931, die Familie wohnte in Berlin-
Die beiden Ältesten waren immer ein Herz und eine Seele, auch noch im späteren Leben, als ihre berufliche Laufbahn und Wohnorte sehr unterschiedlich waren. 1934 zog die Familie in die Fredericiastr. 10b. Hier blieb man bis 1935, mein Bruder Heiner ist dort 1935 geboren. 1936 bekam mein Vater, ich nehme an durch gute Beziehungen (er war zeitlebens ein Anhäger des "Vitamin B")als Beamter, eine Wohnung im "Kavaliershaus" des Schlosses Ruhwald, Spandauer Chaussee (später in Spandauer Damm umbenannt) 33-
Man kann sich nicht vorstellen, wie groß der Unterschied zur Arbeit einier Hausfrau von heute ist: Keine Wasch-
Familie ca 1938
1935 wurde ihr Mann, Kurt Schönknecht., als Gefreiter der Reserve der Wehrmacht, registriert und legte den Fahneneid auf Adolf Hitler ab, am 19.10.1935 wurde er zum Unteroffiziersanwärter ernannt. Er arbeitete weiter für das Gesundheitswesen des Bezirks Charlottenburg, wurde 1938 zum Leitenden Fürsorger befördert, aber kurz darauf, am 6.11.39 zur Wehrmacht eingezogen, nach dem Überfall auf Polen am 1.9.39 befand sich Deutschland im 2. Weltkrieg.
Im Juni 1939 schreibt sie eine Ansichtskarte aus Zingst/Ostsee an Ihre Schwiegermutter ("Mein liebes Muttchen...."). Wer von der 4 Kindern dabei weiß ich nicht, wohl aber dass ihre Pflegemutter "Omi" Reinhardt mit ihnen dort war. Sie wohnten im "Zingsthof" (der noch heute existiert) der Stadtmission . Im Zingsthof hatte auch Dietrich Bonhoeffer sein Predigerseminar der Bekennenden Kirche der 1944 auf ausdrücklichen Befehl Adolf Hitlers , hingerichtet wurde. Nun mußte meine Mutter allein für sich und die Kinder sorgen. Mein Vater war als Sanitätsunteroffzier an der französischen Front und schrieb von dort nach Hause. Später war er wieder in Heimat, ganz sicher zum 33.Geburtstag meiner Mutter, denn 9 Monate darauf wurde ich am 6.6.1943 geboren! 5 Kinder, dafür bekam sie sogar einen Orden, das sog. Mutterkreuz in Bronze, erst 1938 eingeführt und verliehen mit einer Urkunde vom "Gröfaz" (größter Führer aller Zeiten, wie man damals insgeheim sagte).
Ein rührender Brief, hier im Ausschnitt, an ihren geliebten Mann, Oktober 1944 mit einer Locke vom jüngsten Sohn, Locke und Sohn haben jetzt 75 Jahre überstanden:
Zu den vielen Sorgen kam auch die um ihre Ältesten, die beide im Berliner "Kreuz-
In diesem Jahr, Herbst 1943, wurde angesichts des zunehmenden Bombenkrieges über Berlin, eine Evakuierung aller kinderreichen Familien durchgeführt, auch meine Familie war betroffen, die nach Tremmen/Havelland ausquartiert wurde und bei einem sehr großzügigen Bauern dort, Hermann Sumpf, unterkam. Dort wurde ich auch getauft und wir wohnten dann in zwei Zimmern in einem großen Bauernhaus, schon beinahe eine Art Gutgebäude. Mein Onkel Hans Dorn, Schwager meines Vaters war als ltd. Ingenieur zuständig für die gesamte Wasserversorgung im Havelland, deshalb vom Wehrdienst freigestellt und durfte einen Dienstwagen fahren. Er half sehr viel beim Einrichten unserer Familie auf dem Bauernhof, baute u.a. dort eine Toilette und/oder Baderaum ein. Meine Geschwister gingen zur Schule, in Tremmen (Volksschule) oder Nauen (Oberschule). Meine Schwester erinnert sich noch daran, dass sie mir die Windeln reinigen und auswechseln durfte/musste. Ab Juli 1944 war mein Vater an der Ostfront eingesetzt und konnte uns also nicht mehr besuchen. (Näheres in seiner Lebensgeschichte hier auf meiner Webseite).
Vater als SoldatHaus der Fam. Sumpf, neuere Aufn.
Meine ältesten Brüder hatten heimlich ein Detektorradio zusammengebastelt, was unter schwerer Strafe verboten war sie hörten damit den "Feindsender" BBC der in deutsch sendete und immer exakt den Frontverlauf meldete. So erfuhren wir 1945 vom Näherrücken der sowjetischen Truppen. Die meisten Bauern in Tremmen setzten sich daraufhin nach Berlin ab, unsere Familie beschloß Anfang 1945 gen Westen zu fliehen, ein waghalsiges und lebensgefährliches Unternehmen, das wir nur noch unter dem Namen "Flucht" kannten.. Sie wurde vom Bauern Sumpf mit einem Fuhrwerk versorgt und sogar mit einem Pferd und dessen kleinem Fohlen, hinten am Wagen festgebunden, hinterherlief. Die Flucht kannte nur nachts vor sich gehen, wegen der sowjetischen Tiefflieger die die Strasse beschossen, auf der viele Wagen, Einzelpersonen und deutsche Truppen gen Westen unterwegs waren. Meine Geschwister erinnern sich, dass auch einige tote Hühner als Verpflegung mitgegeben worden waren, sie wurden unterwegs aber entsorgt, weil sie schon rochen. Später eilte man zurück um sie wieder aufzulesen und zu verwerten. Mein Onkel Ernst Knüppel, der ja mit seiner Frau, unserer Tante Hanna, (schon mit meinem Vetter Peter Knüppel schwanger) zu unserer Gemeinschaft gehörte, erwies sich als hochbegabter Organisator und brachte von den Bauern auf der Strecke Nahrungsmittel zu uns. Meine ältesten Brüder haben das ganze als grosses Abenteuer empfunden und erinnerten sich später an das "Klauen" von Kartoffel u.a. von den Feldern am Wege. Den Stress dieser Flucht kann heute keiner mehr nachempfinden und selbst die dabei gewesenen können kaum darüber rational berichten. Besonders meine Mutter, keine besonders starke Frau, hat Unglaubliches geleistet und gezeigt, welch ungeahnte Kräfte ein Mensch in der Not aktivieren kann. Täglich, ja fast stündlich mit einem Treffer der Tierfflieger zu rechnen, 5 Kinder notdürftig zu ernähren, keine Verbindung mehr zum Familienoberhaupt, eine völlig ungewissen Zukunft...das alles und mehr musste sie ertragen. Für manche Ausgaben, auf der Flucht und danach, hatte sie ein Postsparbuch aber damit war kaum mehr etwas anzufangen.
Irgendwann kam dann die lange Kolonne an der Elbe an, diese wurde überquert (beide Seiten waren ja noch Deutschland geblieben) und wir kamen nach Bad Segeberg, nördlich von Hamburg, wahrscheinlich amtlich nach dort verwiesen. Wir wohnten in der "Grossen Seestr. 3, bei Familie bei einer Familie Dabelstein. Mein Vetter Peter Knüppel wurde hier am 9.9.1945 geboren.
Familie Knüppel, ca 1947
Marsch deutscher Kriegsgefangener durch Bad Segeberg durch Bad Segeberg 1945
Nun ereignete sich etwa Unfassbares, ein kleines Wunder: Unter leichter Bewachung britischer Soldaten marschierte ein langer Zug deutscher Kriegsgefangener durch Bad Segeberg. Am Rande standen einige Einwohner und hielten Schilder mit gesuchten Männern hoch, so auch meine beiden ältesten Brüder. Mein Vater war in der Kolonne und sah seine Söhne, er lief spontan auf sie zu, ein großzügiger Bewacher genehmigte das Wiedersehen und mein Bruder Fritz schoß los um meine Mutter zu benachrichtigen, er sagte: "Mutti, Mutti da unten ist ein Soldat der Vati kennt" um sie nicht zu sehr zu erchrecken (oder war es schwarzer Humor?). Kurz darauf war die Familie wieder vereint.
Main Vater kam schon bald zurück nach Berlin Sanitätssoldaten wurden früher entlassen), hat uns in Bad Segeberg auch noch einmal besucht, die Familie hatte erst Ende 1945 die Möglichkeit, in Begleitung eines Freundes meiner Vater Bodo (?) Goltze mit der Bahn über diverse Umsteigestationen (übernachtet wurde in sogenannte "Nissenhütten, Wellblechbaracken). Angekommen in Berlin konnten wir die von meinem Vater, er war schon wieder beim Senat tätig, organisierte Wohnung, Westendallee 124/Preussenallee 11, unweit vom S-
Meine Großmutter wohnte damals mit in Nauen in und zug etwas später zu uns nach Berlin. Über dies Unglück wurde in unserer Familie wenig oder gar nicht gesprochen, obwohl ich mich an spätere Bahnfahrten nach Nauen erinnere.
In der Hauptstadt gab aber noch nicht volle Stromversorgung und das fliessende Wasser nur stundenweise. Ich erinnere mich, dass jemand aus dem Hause durch den Treppenflur schrie "Wasserhähne lüften" worauf man dann die Hähne aufzudrehen hatte. Die älteren Kinder besuchten bald die Waldschule in Berlin-
Wann dann in den späten 40er Jahren meine Mutter dann von der ständigen Untreue ihres Herrn Gemahls Kenntnis erhielt weiß ich nicht. Was ich weiß ist, dass die beiden Frauen sich irgendwann 1949/1950 trafen, ich kam von einer Schulfeier (Weihnachten?) nach Hause als Frau Schramm, von meiner Mutter mit "Donja" tituliert, gerade unser Haus verliess, sie war mir unheimlich, ohne dass ich im geringsten ahnte, wer sie war.
1949 erhielt meine Mutter eine Kur in Bad Kissingen verschrieben und fuhr mit der Bahn dorthin. Sie war recht zufrieden mit dem Hotel, dem Essen und den anderen Gästen dort. Sie erwähnt, dass man sie zu verschiedenen Gesundheitsproblemen behandelte, unter anderem auch ihren Kopfschwerzen. Ob ein Zusammenhang mit ihrem späteren Tod bestand, kann ich nicht beurteilen, über Kopfschmerzen hat sie während ihres gesamten Lebens geklagt. Ihre mir vorliegende Briefe von dort an ihren Mann waren schon weniger zärtlich und befassten sich eher mit Sorge um die Versorgung des Haushalts. Meine Geschwister berichten, dass sie dort in Bad Kissingen einen Mann näher kennenlernt, mit dem sie viel gesprochen hat.
Ca 1951 (oben) und 1949) Preussenallee
Irgendwann sind wir dann umgezogen in die Westendallee 88 1.Etage,, warum weiss ich nicht, vermute Ersparnisgründe. Später ein weiterer Umzug in das Erdgeschoss des Hauses, wo uns auch ein kleiner Garten, an der Fernbahnlinie, zur Verfügung stand. Meine Mutter war unser Lebensmittelpunkt, den Vater sahen wir immer seltener. Beide besuchten aber regelmäßig, auch inder weiteren Zukunft, Donnerstags den "Familienkreis" des CVJM in der Waitzstr., CHarlottenburg. Wir spielten sehr viel, diverse Gesellschaftspiele wie "Poch" "Elfer raus", "Rommé" und ab und zu "Schlesische Lotterie", letzteres gefiel mir besonders, weil es dabei um, sehr geringe, Bargelder ging. Beosnders schön für mich war immer, wenn meine Mutter vor, zur Guitarre, etwas vorsang, z.B. "Maikäfer flieg" oder "In Mutterns Stübele" beides etwas traurige Lieder, ich glaube aus einer alten Liedersammlung "Des Knaben Wunderhorn". Welch herrliche Stimme meine Mutter doch hatte, mit Höhen und Tiefen, die einen berührten.
Weil ich immer noch sehr unterernährt war, wurde ich mehrfach, auch durch Beziehungen meines Vaters, verschickt, in die Schweiz, an die Nordsee und in der Schwarzwald. Es war dann immer meine höchste Freude, wenn ich ein Päckchen meiner Mutter bekam, mit Süßigkeiten, einem lieben Brief, Grüßen der Geschwister und manchmal auch einem Geldstück.
Preussenallee, ca 1948
Es gab eine Weile eine Haushaltshilfe, Maria Sterzeck, eine kleine, sehr liebe Frau, die auch vorzüglich nähen konnte und für meine Mutter verschiedene schöne Kleider gezaubert hat. Besonders beliebt war sie bei unserem Airedale-
Meine Großmutter "Oma" starb 1950, sie hat sich trotz ihrer Behinderung immer sehr um ihre Enkel besorgt. 1950 starb auch unsere "Omi", Marie Reinhardt, die innig geliebte Pflegemutter meiner Mutter, siehe oben. Sie hat sich um unseren Opa Richard Reinhardt noch intensiver um ihn gekümmert und er hat uns, trotz seines Alters auch oft besucht. Durch einen, wohl versehentlichen, Versprecher meines Bruders Heiner wurde den Reinhardts das Verhältnis meines Vaters zu Frau Schramm offenbart, es gab ernste Gespräche. Aber meine Mutter selbst war immer gegen eine Trennung, sei sie auch nur räumlich. Sie hat ihren Mann bis zu letzt sehr geliebt und war in Vielem auf ihn fixiert.
Wir zogen dann wieder um, in ein neu gebautes Bungalow einer Siedlung in Berlin-
Jeden Donnerstag gingen sie aber gemeinsam zum "Familienkreis" des CVJM, wo auch er manchmal Bibelstunden hielt, obwohl alle Anwesendenden wußten, daß er seine Frau seit Jahren betrog. Es sollen aber noch andere dieses Kreises dieser Scheinheiligkeit gefolgt sein. Hinterher gingen einige Freundespaar dann zu einem Chinesen essen, für meine Mutter eine große Freude, und wurden hinterher von dem "Onkel" Gerhard Breddin (den meine Mutter besonders verehrte, unter den Argusaugen seiner Frau, unserer "Tante Lydia") heimgefahren in seinem großen Mercedes. Sie hat sich in diesem kleinen Freundeskreis immer sehr wohl gefühlt. Einmal im Jahr verreiste mein Vater mit seiner Freundin, z.B. nach Italien; danach oder davor kam die Familie dran und die beiden Freundespaar Feist und Breddin. mit Busreisen ins Frankenland oder Fichtelgebirge Auch ich durfte ein paarmal mitreisen. Die Älteren marschierten dabei mit strammen Schritten und und unter Absingen christl. Lieder oder Wanderlieder voraus, was mir sehr peinlich war aber die örtliche Bevölkerung auf dem Feld amüsierte. Wir hatten alle unser Päckchen zu tragen, denn unterwegs wurde "abgekocht" d.h. in mitgebrachtem Töpfen und Geschirr und auf kleinen Feuern, Mahlzeiten bereitet bereitet. Abends kochten dann die Frauen noch einmal, z.B. die vorher gesammelten Pilze oder Blaubeeren in Milch. Meine Mutter hat sich bei diesen Urlauben immer äußerst wohl gefühlt, sie hatte ihren Mann und die lieben Freunde um sich, quasi für sich allein.
Die älteren Kinder verließen in den nächsten Jahren das Haus, zuerst mein Bruder Fritz (zunächst für ein Jahr als Assistenzarzt, ein Jahr später für immer) nach USA, ihm folgte später auch meine Schwester Hanna. Bruder Gottfried wurde als Lehrling bei Siemens untergebracht, später zog er nach Hamburg um sich im dortigen "Rauhen Haus" zum Diakon ausbilden zu lassen. Mein Bruder Heiner begann und beendete ein Studium auf der Pädogogischen Hochschule in Berlin, er wohnte auch allein als Untermieter im Hansaviertel in Berlin-
Ein letzter gemeinsamer Ausflug, ca 1961
Fritz steuerte den gemieteten Bus, Vater (er hat dies Bild aufgenommen) war sehr besorgt, dass er nicht über 80 km/h fuhr. Sehr viel mehr hätte der Bus wohl auch nicht fertiggebracht.
1963, am 10.6, heiratete mein Bruder Gottfried Ursula Brocks, die er bei seiner neuen Arbeit als Diakon in Schweicheln bei Herford, Buchenhof (einem offenen Heim für Schwererziehbare und Kindern aus zerrütteten Familien) kennengelernt hatte. ^
Am Vortag wurde es dramatisch: Es war der Geburtstag meiner kämpferischen Tante Hanna, die über irgendetwas mit menem Vater aneinander aneinangeriet. Er wollte ihr kurz darauf trotzdem gratulieren, sie schlug seine Hand aus. Meine Mutter wollte vermitteln, was ihre Schwester zur wütenden Äußerung veranlasste: "Ich bin doch mit Deinem Ollen nicht verheiratet!" Mein immer schon leicht cholerischer Vater: "Sei bloß froh, sonst hätteste jeden Tag Dresche jekriegt!" "Ahh, wag es nur" mit diesen Worten und hoch erhobenen kräftigen Fäusten (sie war immerhin Masseurin) schoß seine Schwägerin auf ihn los ....und alle Kinder gingen dazwischen mit diversen Ausrufen...Ort dieses Stücks in Berliner Dialekt war der gut besetzte Gastraum des "Schweichelner Krugs".